Eindrücke vom Wetterleuchten 2017

wetterleuchtenAm Samstag fand zum zweiten Mal das Wetterleuchten statt, der Sommermarkt der unabhängigen Verlage im Literaturhaus Stuttgart. Während im Obergeschoss ganztägig Lesungen geboten wurden, präsentierten mehr als vierzig Aussteller, darunter die Frankfurter Verlagsanstalt, Voland & Quist oder der Verbrecher Verlag, draußen wie drinnen ihr aktuelles Programm. Die Stände und Lesungen waren wie zur Premiere erfreulich gut besucht, obwohl bis auf Arno Frank in diesem Jahr die  – sofern man bei Indie-Verlagen davon sprechen kann – prominenten Namen fehlten. Nicht unbedingt ein Nachteil: Umso eher gab es dadurch Neues zu entdecken.

Vom Verlag pudelundpinscher etwa hatte ich bislang nie gehört, nun begeisterte mich aber gleich bei meiner ersten Lesung Hamed Abboud mit seiner teils lyrischen Kurzprosa aus Der Tod backt einen Geburtstagskuchen. Mit viel schwarzem Humor begegnet er darin dem längst zum Alltag gewordenen Schrecken des syrischen Bürgerkriegs, vor dem er 2012 in einer drei Jahre dauernden Odyssee nach Österreich floh. Den Text Ich möchte einen Panzer fahren bekamen wir gleich zwei Mal zu hören. Zunächst trug Abboud das lange Prosagedicht auf Arabisch vor, anschließend ein professioneller Sprecher auf Deutsch. Konzentriert einer Sprache zu lauschen, von der ich kein Wort verstehe, war eine faszinierende Erfahrung, besonders, als sich nach einigen Minuten die ersten Muster erkennen ließen. Später las der Autor auf Bitten des Moderators auch selbst einige Zeilen auf Deutsch – und die hatten es in sich. In Die verschiedenen Varianten des Todes schreibt Abboud sarkastisch über die Entwertung des Todes im Krieg. Der ist in Syrien schließlich Alltag, beinahe langweilig: „Wandere um eines besseren Lebens willen nicht aus, sondern um eines besseren Todes willen. Du musst deinen passenden Tod im geeigneten Augenblick ergattern. […] Stirb sauber und steril durch das Salz des Meeres statt durch Chemiewaffen. Stirb vor Kälte in einem Kühlwagen auf der Autobahn. […] Stirb, weil du den Ausweis vergessen oder weil du die Bescheinigung über den Aufschub des Militärdienstes zu langsam vorgezeigt hast.“ Den schmalen zweisprachigen Band habe ich mir nach der gelungenen Lesung gleich als Rezensionsexemplar sichern müssen. Ein Geheimtipp, hoffentlich aber nicht mehr lange: Hamed Abboud ist gemeinsam mit seinen Übersetzern für den 9. Internationalen Kulturpreis vom HKW nominiert.

Nach meiner mehr als positiven Besprechung von Arno Franks So, und jetzt kommst du habe ich mich auf seinen Auftritt beim Wetterleuchten natürlich sehr gefreut. Trotz dreier Passagen, die er aus seinem autobiografischen Debüt las, stand vor allem das Gespräch mit Moderatorin Sandra Potsch im Vordergrund. Interessant fand ich dabei besonders seine distanzierte Wortwahl, wenn es um die Mitglieder seiner Familie, allen voran seinen Vater, ging: Nie sprach er von meinem Vater, meiner Mutter, meiner Schwester. Stattdessen war stets von dem Vater die Rede. Oder von der Figur des Ich-Erzählers. Gerne hätte ich mehr darüber erfahren, inwieweit Frank seine Kindheit fiktionalisiert hat, um sie zu einer Romanhandlung zu verdichten – oder ob er diese sprachliche Distanz einfach braucht, um öffentlich über so intime Erinnerungen an die eigene Familie sprechen zu können. Die halbe Stunde war insofern wie erwartet unterhaltsam und aufschlussreich, aber leider etwas zu kurz.

Zum Abschluss fanden noch zwei Lesungen als zwischen/miete-special statt, in denen junge Literatur im Vordergrund stand. Dietlind Falk las aus ihrem Debütroman Das Letzte, einer Coming-of-Age-Geschichte über eine Ich-Erzählerin, die in einer anarchistischen WG lebt, aber plötzlich Verantwortung für ihre Messie-Mutter übernehmen muss. Das Romansetting versprach Ungewöhnliches, leider fehlte es mir jedoch sowohl beim gelesenen Abschnitt als auch im anschließenden Gespräch ein wenig an Tiefe. Zuletzt trug der Schweizer Michael Fehr Texte aus seinem Band Glanz und Schatten vor und überzeugte nicht nur als phantasievoller Fabulierer, sondern auch als Entertainer. Er trug seine Texte frei und ausdrucksstark vor, verließ dabei immer wieder die Bühne und lief umher. Auch im unterhaltsamen Gespräch mit der Moderatorin präsentierte sich Fehr so schlagfertig und klug, dass ihm wahrscheinlich jeder im Publikum gerne noch länger zugehört hätte.

Deshalb war es schade, dass sich das Wetterleuchten schon zur Dämmerung dem Ende neigte und sich das Lesungsprogramm nicht noch weiter in den Abend zog. Dass der Sommermarkt der Indies erneut gut vom Publikum angenommen wurde, ist jedenfalls erfreulich. Im nächsten Jahr wird er definitiv ein drittes Mal stattfinden, hoffentlich plant das Literaturhaus aber auch über 2018 hinaus und macht das Wetterleuchten zu einer festen Institution in Stuttgart. Schließlich sind es gerade diese Veranstaltungen, die unabhängigen Verlagen die Aufmerksamkeit ermöglichen, die sie brauchen und verdienen – Stichwort: Bibliodiversität.

 

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