Monat: Januar 2015

Letzter Aufruf für ]trash[pool Nr. 6

cover-collageDa ich gerade sehr intensiv mit der finalen Überarbeitung meines Romans Dezemberfieber beschäftigt bin, zugleich aber auch meine letzte große Veröffentlichung – meine Tochter (aktuell mit einer Auflage von achteinhalb Zähnen) – eine Menge Zeit in Anspruch nimmt, wird die Liste der Themen, über die ich hier schreiben möchte, immer länger. Schon bald wird es auf meinem Blog jedoch wieder um einiges lebhafter zugehen. Bis dahin erinnere ich gerne noch einmal an unsere aktuelle Ausschreibung für ]trash[pool: Bis einschließlich Samstag suchen wir noch Text- und Bildbeiträge für die nächste Ausgabe!  (mehr …)

Von der Recherche als Fundament poetologischer Freiheiten: Interview mit Ilija Trojanow (2013)

Vor einigtrashpool4-coveren Wochen habe ich einen alten Schatz aus dem Archiv unserer Zeitschrift gehoben und hier ein Gespräch mit Ulrich Blumenbach über David Foster Wallace online gestellt. In der vierten Ausgabe von ]trash[pool hat unsere Redakteurin Ulrike Schiefelbein ein ähnlich ausführliches Interview mit dem Autor Ilija Trojanow (u.a. „Der Weltensammler“) führen dürfen, das ebenfalls viel zu schön geworden ist, um es im Archiv versauern zu lassen. Mit dem mehrfach ausgezeichneten Schriftsteller sprach sie im Januar 2013 vor allem über die immense Bedeutung von Recherche für sein Schreiben und globale Literatur.


Woran arbeitest du gerade?

Ich arbeite an meinem Opus Magnum mit dem Arbeitstitel „Macht und Widerstand“. Es geht um zwei exemplarische Geschichten über einen Apparatschik und einen Widerstandskämpfer – und das anhand 50 Jahre bulgarischer Geschichte.

Und was liest du zur Zeit?

Ich habe gerade bei der afrikanischen Literaturtagen in Frankfurt ein Gespräch moderiert und die Bücher der Autoren gelesen. Einer der Autoren ist Helo Habila aus Nigeria, der merkwürdigerweise den Deutschen Krimipreis gewonnen hat, was insofern interessant ist, weil inzwischen ja alles Krimi sein muss. Krimi ist das Genre unserer Zeit. Entweder versuchen alle Krimis zu schreiben oder selbst diejenigen, die keine Krimis schreiben, werden in der Rezeption dann einfach als Krimi-Autoren tituliert.

Bevor du vor allem als Romancier bekannt wurdest, hast Anfang der 90er Jahre afrikanische Literatur verlegt. Jüngst kritisiertest du in der Süddeutschen Zeitung, dass afrikanische Literatur im Literaturbetrieb nach wie vor marginalisiert werde. Es hat sich demnach nichts verändert?

Grundsätzlich ist es so, dass fremde Literatur bei uns wahrgenommen und rezepiert wird, wenn sie möglichst wenig fremd ist. Das heißt, dass eigentlich das, was Literatur leisten könnte – nämlich uns das Unbekannte näher zu bringen, uns dadurch mit uns selbst zu konfrontieren, uns zu irritieren und zu provozieren –, eigentlich nicht angenommen wird. Je abwegiger, je sperriger, auch kulturell sperriger ein Roman ist, desto weniger wird er weitergegeben. In dem Sinne hat sich nichts Wesentliches verändert.

Könntest du dich den Lesenden von ]trash[pool kurz vorstellen? Kannst du deinen Stil umreißen – oder geht das grundsätzlich nicht?

Mein Stil ist, dass ich keinen Stil habe. Ganz grob gesagt gibt es zwei Arten von Autoren. Jene, die an einer Stelle bohren, und jene, die immer mal wieder woanders Bohrungen machen. Jene, die wie an Thomas Bernhard an einer Stelle bohren, haben irgendwann einen ganz eigenen Stil entwickelt und diesen vertiefen sie. Es kommen kleinere Variationen, kleine Drehungen vor, aber im Großen und Ganzen ist die Welt, die sie beschreiben, das Vokabular, das sie benutzen, sind die Figuren, die sie vorstellen, doch sehr ähnlich. Die literarische Stärke entsteht dann durch die Verdichtung. Und natürlich auch durch eine gewisse Geläufigkeit für den Leser, der mit dieser Welt, mit diesem Stil, eine Vertrautheit herstellt, die angenehm ist. Es gibt viele Leser, die das sehr mögen, wenn sie den Sound eines Autors immer wiedererkennen. Bei mir ist es so, dass ich den Stil, den Sound je nach Thema, nach Konstruktion und Handlung anpasse, verändere. Deshalb ist der Stil zwischen „Die Welt ist groß“, „Weltensammler“ und „Eistau“ extrem unterschiedlich.

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Besorgter als Bono: Über Dave Eggers Entwicklung als Autor und sein gesellschaftliches Engagement

Eines vorweg: Ich werde gar nicht erst versuchen, auf meinem Blog mit anderen Buchbloggern um die neuesten und besten Rezensionen zu konkurrieren – das wäre von an Anfang an zum Scheitern verurteilt. Ich ziehe meinen Hut vor dem Leseeifer anderer Blogger, die im Jahr vermutlich genügend Bücher schaffen, um mit den Stapeln in ihren Wohnzimmern die Skyline von New York nachzubauen. Ich käme da wahrscheinlich bestenfalls auf Wuppertal, als Leser gleiche ich nämlich eher einem Quartalssäufer. Manchmal lese ich monatelang nichts – vor allem, wenn ich gerade selber schreibe -, dann aber gleich wieder sechs Romane am Stück. Weil ich jedoch immer weniger lese, als ich eigentlich möchte, macht mir der Stapel ungelesener Bücher auf meinem Regal stets ein schlechtes Gewissen. Allerdings gibt es eine Handvoll Autoren, die mir aus unterschiedlichen Gründen so viel bedeuten, dass ich deren neuesten Veröffentlichungen immer sofort lesen muss. Einer von ihnen, Dave Eggers, war im letzten Jahr wegen seines Romans The Circle in aller Munde; sein hierzulande erfolgreichster Roman ist ein relevanter und durchaus wichtiger Kommentar zur social media-Gesellschaft, aber sicher nicht Eggers beste Arbeit. Warum mich seine anderen Romane mehr überzeugt haben und inwiefern er mich vor allem über sein Schreiben hinaus inspiriert hat, möchte ich darum anhand einer ausführlichen Werkschau begründen.

Die Dringlichkeit eines Idealisten

Als sein Debüt 2001 in Deutschland herauskam, bin ich gleich auf Dave Eggers hereingefallen. Der Titel seines großteils autobiographischen Romans – Ein herzzerreißendes Werk von umwerfender Genialität – war so ironisch wie brillant, entsprach allerdings nur der halben Wahrheit: Die Geschichte, wie Eggers mit 22 seinen achtjährigen Bruder Toph großziehen muss, weil ihre Eltern innerhalb weniger Wochen verstorben sind, ist tatsächlich herzzerreißend. Genial ist das Buch aber nur zu Anfang. Das Spiel mit der Metaebene und den postmodernen Brechungen im langen Vorwort hat mir, weil ich z.B. David Foster Wallace damals noch nicht kannte, ganz neue, aufregende Möglichkeiten von Literatur aufgezeigt; in diesem hat Eggers allerdings auch schon vorweggenommen, dass das Buch ab Seite 135 „irgendwie unausgewogen“ sei – leider zurecht. Das erste Drittel des Romans begeistert noch mit emotionaler Wucht: Hilflosigkeit und Schmerz sind genauso unmittelbar wie der trotzige, unbedingte Willen zum Leben, den die Familientragödie bei Eggers ausgelöst hat. Wider allem Leid strotzt sein Debüt nur so von Komik und Lebenslust. Im weiteren Verlauf der Handlung blitzen zwar immer wieder geniale Momente auf, doch leider mangelt es ihr zunehmend an Stringenz; immer öfter verliert sich der Roman in Nebenschauplätzen und fasert aus. Dennoch blieb für mich der Eindruck, hier auf eine aufregende neue Stimme der amerikanischen Gegenwartsliteratur gestoßen zu sein.

Eggers erster fiktionaler Roman Ihr werdet (noch) merken, wie schnell wir sind – eines meiner absoluten Lieblingsbücher – setzt sich praktisch aus denselben Zutaten wie sein Debüt zusammen, schafft es zugleich aber auch, eine spannende und mitreißende Geschichte zu erzählen. Wieder einmal ist es der Tod, der die Ereignisse in Gang setzt: Um den Verlust ihres besten Freundes zu verarbeiten, brechen Will und Hand zu einer fünftägigen, planlosen Weltreise auf und versuchen auf dieser, so viel Geld wie möglich zu verschenken – was zu allerhand skurrilen und abenteuerlichen Situationen führt. Trotz allen Humors bleibt der Leidensdruck der Protagonisten immer erkennbar. Als Leser spürt man eine permanente Dringlicheit, die sich auch in der Gestaltung der deutschen Erstausgabe spiegelt: Die Handlung setzt bereits auf dem Cover ein und lässt keinen Platz für editorische Hinweise. Es besteht kein Zweifel: Diese Figuren haben keine Zeit zu verlieren. Dieselbe Dringlichkeit spürt man auch beim Autor: Da ist einer, der muss etwas erzählen; diese Geschichte, dieses Thema muss aus ihm heraus.  (mehr …)

Haltung zeigen: Warum angesichts Pegida, „Lügenpresse“ & Co. ein guter Witz manchmal entwaffnender ist als ein Argument

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Manchmal weiß man schon vorher, wie eine Sache ausgeht. Man ahnt, dass der Pfannenwender zu klein ist, sieht seine Pizza dann aber trotzdem zwei Sekunden später kopfüber auf der Backofentür brutzeln. Oder lässt sich nach monatelanger Abstinenz zu dieser einen harmlosen Zigarette beim dritten Bier hinreißen und kauft sich beim fünften eine Schachtel. Die großen Dinge hängen ja oft und gerne mit den kleinen zusammen; wer sich also fragt, warum die Menschheit aus ihren Fehlern nicht schlau wird, muss sich bloß in seiner Küche umsehen, wenn er mal wieder seinen Löffel unterm voll aufgedrehten Hahn gespült hat. Als ich kürzlich – einige Wochen vor Pegida – einen Kommentar unter den Facebook-Status eines ehemaligen Schulkameraden setzte, war ich mir im Klaren darüber, dass ich es bereuen würde, ihn mir nicht (wie so oft zuvor) verkniffen zu haben. Im wunderbaren #Neuland gibt es Dinge, die man besser besser sein lässt, wenn einem seine Zeit lieb und teuer ist: Man diskutiert nicht mit den geifernden Trollen im SPON-Forum, schon gar nicht über die Leistung der Nationalmannschaft oder Jogi Löw. Und: Man weist einen AfD-Wähler mit Hang zum Wutbürgertum nicht auf Inkonsistenzen in seinem Weltbild hin.

Schon seit Jahren habe ich mich im Stillen über seine Postings geärgert, die mit geradezu missionarischem Eifer und mächtig Wut im Bauch so ziemlich jedes Klischee aktueller rechtspopulistischer Strömungen aufgreifen, mit dem nicht nur hierzulande, sondern u.a. auch in Frankreich, Italien, Niederlande oder der Schweiz Stimmung gemacht wird. Das Tückische an Menschen wie Thilo Sarrazin oder den jüngsten Parteigründungen ist ja, dass sie sich zumeist im demokratischen Spektrum bewegen, aber trotzdem hauptsächlich Themen aufgreifen, mit denen sich am rechten Rand fischen lässt. Die AfD etwa ist nicht nur ein Auffangbecken für Euroskeptiker, die einer „alternativlosen“ Europapolitik den Rücken gekehrt haben, sondern eben auch für (antiamerikanische) Verschwörungstheoretiker, Putinversteher, Islamophobiker oder Rückwärtsgewandte, denen die gesellschaftlichen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte – gerne als „Gutmenschentum“ beschimpft – zuwider sind. Wie in allen populistischen Parteien begegnet man realen Ängsten und Sorgen mit undifferenziertem Schwarz-Weiß-Denken, komplizierten Problemen mit einfachen, nicht zu Ende gedachten Lösungen. Als Partei selbst ist die AfD wohl kaum gefährlich, zumal sie sich dank aufbrechender Machtkämpfe sowie der starken Heterogenität ihrer Mitglieder zunehmend selbst im Weg steht; mehr als eine empathielose und technokratische Politik lässt sich ihr (jedenfalls in der Spitze) kaum vorwerfen. Gefährlich ist allerdings sehr wohl das Welt- und Menschenbild, das auch in ihrem Umfeld unter dem Deckmantel des Das wird man ja wohl noch sagen dürfen gegenwärtig wieder salonfähig geworden ist. (mehr …)