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Florian Wacker im Gespräch über seinen Roman „Stromland“

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Vor Kurzem habe ich in einer sehr begeisterten Rezension Florian Wackers Roman „Stromland“ besprochen. Umso mehr freue ich mich nun darüber, dass sich der Autor die Zeit genommen hat, mit mir über das Buch, die umfangreiche Recherche und sein Schreiben zu sprechen.


Du hast dreieinhalb Jahre an „Stromland“ gearbeitet und drei Fassungen mit insgesamt über 700 Seiten geschrieben. Deine Erzählung „Gold“, die wir 2016 in ]trash[pool veröffentlichen durften, ist zumindest thematisch mit dem Roman verwandt. War „Stromland“ ursprünglich noch breiter angelegt oder ist die Verbindung zwischen beiden Texten bloß Zufall? Inwieweit hat sich der Roman über die unterschiedlichen Fassungen verändert?

Die Erzählung „Gold“ ist ein Nebenfluss der Romans, für sich stehend, aber aus dem Kosmos des Romans hervorgegangen. Die Verbindung ist also kein Zufall, wenn auch die Erzählung von den Figuren und der Erzählweise keine Berührungspunkte mit dem Roman hat, es ist keine gestrichene Episode o.Ä. Natürlich hat sich „Stromland“ über die verschiedenen Fassungen hinweg massiv verändert; zu Beginn hatte ich eine ganz andere Grundsituation, die starken Plotelemente der „Suche“ und der „Zwillings-Geschwister“ kamen erst im Laufe der Zeit dazu. Es hat sich zusammengefügt wie ein Puzzle, nach und nach wurde immer mehr von der Geschichte und ihrem Personal deutlich, das eine hat sich dann fast zwangsläufig aus dem anderen heraus ergeben.

In deinem Journal sprichst du auch von „radikalen Abbrüchen“ – gab es Momente, in denen kurz davor warst, die Arbeit am Roman aufzugeben?

Ich glaube, diese Situation kennt jeder Autor: Man sitzt monatelang, jahrelang an einem Text und verliert über die Zeit den klaren Blick, die Übersicht, steigt immer tiefer hinunter ins Bergwerk der Geschichte, macht neue Entdeckungen, findet verschüttetete Gänge, immer mit der Gefahr, nie wieder nach oben zu kommen. Will sagen: Ich habe immer wieder diese Punkte erreicht, an denen ich ratlos und mutlos vor dem Text stand und nicht weiter wusste. Da ist dann ein guter Agent / Lektor Gold wert. Mein Agent Sebastian Richter hat mir in langen Gesprächen immer wieder durch diese Phasen geholfen, er hatte den klaren Blick von Außen und ich bin sehr glücklich über unsere sehr enge Zusammenarbeit.

Obwohl „Stromland“ an keiner Stelle überfrachtet wirkt, merkt man beim Lesen, wie akribisch du für den Roman recherchiert hast. Aus welchen Quellen hast du am meisten für deine Arbeit schöpfen können?

Ich habe die Recherche auf zweierlei Arten betrieben: faktisch und fiktiv. Ich habe mich natürlich sehr ausführlich mit den Fakten beschäftigt, also mit der Geschichte des südamerikanischen Kontinents, den Eroberungen und den Folgen davon, mit Ethnographie, Geografie, habe Tagebücher von Reisenden gelesen, Bücher über Flora und Fauna; viel geht ja auch mittlerweile über die einschlägigen Kanäle im Netz, also über YouTube, über Google Maps, Wikipedia, es gibt Portale über den Amazonaswald, Portale zur Geschichte der Auswandung nach Brasilien usw. Und auf der anderen Seite habe ich mich dem Thema fiktiv genähert, d.h. durch Romane von Vargas Llosa, von Döblin und zeitgenössischen Autoren wie z.B. Hernán Ronsino. Alfred Döblin hat einen großen, aber etwas vergessenen Roman über den Amazonas geschrieben, heillos überfrachtet, aber auch ungemein inspirierend. Ich recherchiere mittlerweile immer auf diese beiden Arten.

Besonders begeistert haben mich ja die vielen detailreichen und lebhaften Beschreibungen der Schauplätze, allen voran des peruanischen Regenwalds. Bist du selbst bereits durch Südamerika gereist?

Nein, ich war noch nie dort. Ich verhalte mich da ein bisschen wie Karl May (nur ohne die Hochstapelei) und schöpfe alle Details, alle atmosphärischen Beschreibungen aus dem, was ich lese, höre und sehe (Bücher, Filme). Und sicher gehört dann auch etwas schriftstellerisches Geschick dazu, das alles möglichst authentisch zu erzählen. Ich habe mir natürlich während des Schreibens immer wieder die Frage der Authentizität gestellt, aber für mich schnell herausgefunden, dass es mir nicht darum geht, im Sinne einer Reportage eine Wahrheit zu zeigen, sondern im Sinne des Romans, d.h. eine fiktive, spekulative Wahrheit; eine Wahrheit, die sich aus der Geschichte und nicht aus dem Nachweis von Authentizität speist.

Du spannst in „Stromland“ einen großen Bogen über mehrere Jahrhunderte, in denen Menschen in den Regenwald kamen, um dort ihr Glück zu suchen – und dabei oft bloß ihr Verderben fanden. Die ungebändigte Natur scheint eine große Faszination, fast eine Sehnsucht auszulösen, weckt zugleich aber immer auch die Gier der Menschen. Die Suche nach dem Paradies führt sie geradewegs in die Hölle. Was hat dich an diesem Thema so fasziniert?

Es sind sicher die Themen, die Du oben ansprichst, also die Sehnsucht nach dem Fremden, nach dem Unentdeckten und gleichzeitig der Angst davor. Im Roman spielt der Fluss eine große Rolle, auf dem Irina und Hilmar immer tiefer in den Wald hineingeraten und immer tiefer in eine verstörende, lebendig übersteigerte Welt. Diese Suchbewegungen faszinieren mich, die verschlungenen Wege, die ein Lebenslauf nehmen kann und die oftmals weit über das hinausgehen, was wir uns vorstellen, was wir erwarten oder uns wünschen. Und mich interessieren auch immer wieder die Bewegungen aus der Vergangenheit heraus in die Gegenwart, also die Zusammenhänge von dem, was war und was gerade ist, denn wir alle werden ja geprägt davon, wir sind keine „leeren Blätter“.

Vor „Stromland“ hast du bereits einen Erzählband und einen Jugendroman veröffentlicht und mit Wolfserwartungsland jüngst auch ein Theaterstück geschrieben. So unterschiedlich all diese Texte auch sind – gibt es etwas, das sie miteinander verbindet? Oder grundsätzliche Themen, mit denen du dich als Autor auseinandersetzt?

Es sind die oben bereits genannten Suchbewegungen, die sich im Erzählband und auch im Jugendbuch wiederfinden, in anderen Zusammenhängen. Aber oft sind meine Charaktere auf der Suche, machen sich auf den Weg, brechen aus, verlassen vorgegebene Pfade. Manchmal verirren sie sich dann, manchmal finden sie wieder zurück. Als Autor muss mir ein Thema im Sinne einer Geschichte zufallen. Ich schaue nicht: Was ist gerade aktuell, welches Thema kannst du bearbeiten. Die Aktualität der Texte ergibt sich meist von selbst, während des Schreibens. Aber natürlich beschäftigen mich über das Schreiben hinaus die Themen unserer Zeit: Das gehetzte, künstliche Leben im Spätkapitalismus, die großen Migrationsbewegungen, die Umweltzerstörungen.

Worum geht es in dem Stück „Wolfserwartungsland“?

„Wolfserwartungsland“ spielt in einer verlassenen Gegend in einem Hotel. Die Menschen dort haben die Hoffnung auf ein besseres Leben schon aufgeben, haben sich eingerichtet, träumen von einer hellen Dachgeschosswohnung, verharren aber im Hier und Jetzt. Dann kommen zwei Personen von Außen: Ein Jäger und die Figur „Wolf“, ein Banker, und bringen das Gefüge ins Wanken, reißen alte Wunden auf, wecken Sehnsüchte. Der Begriff „Wolfserwartungsland“ ist ein Begriff aus der Fortwirtschaft und bezeichnet ein Gebiet, das für die Wiederansiedlung des Wolfes optimale Bedingungen bietet.

Welche Autoren und Bücher haben dich als Autor am meisten geprägt und inspiriert?

Oh, da gibt es sehr viele, und es ist auch immer abhängig von der jeweiligen Lebensphase gewesen, welche Autoren mich inspiriert haben. Zu Beginn meiner Lesekarriere waren das sicher Karl May oder James F. Cooper („Lederstrumpf“-Romane), später dann Samuel Beckett, Alfred Döblin, auch einige Romane von Christian Kracht. Dauergäste bei mir sind auf jeden Fall William Faulkner, John Cheever, D.F. Wallace. Ich lese breit, zeitgenössische Autoren (zuletzt toll: Colson Whitehead, Sabrina Janesch), Klassiker (Dostojewskji), im Moment zur Vorbereitung auf den nächsten Roman viel über Fahrten in die Arktis (Stan Nadolny, Roald Amundsen, Mirko Bonné).

Lieber Florian, ich danke dir für das Gespräch!


Florian Wacker: Stromland. Erschienen im Berlin Verlag, 352 Seiten. Zu meiner ausführlichen Besprechung des Romans geht es hier entlang.

Von der Recherche als Fundament poetologischer Freiheiten: Interview mit Ilija Trojanow (2013)

Vor einigtrashpool4-coveren Wochen habe ich einen alten Schatz aus dem Archiv unserer Zeitschrift gehoben und hier ein Gespräch mit Ulrich Blumenbach über David Foster Wallace online gestellt. In der vierten Ausgabe von ]trash[pool hat unsere Redakteurin Ulrike Schiefelbein ein ähnlich ausführliches Interview mit dem Autor Ilija Trojanow (u.a. „Der Weltensammler“) führen dürfen, das ebenfalls viel zu schön geworden ist, um es im Archiv versauern zu lassen. Mit dem mehrfach ausgezeichneten Schriftsteller sprach sie im Januar 2013 vor allem über die immense Bedeutung von Recherche für sein Schreiben und globale Literatur.


Woran arbeitest du gerade?

Ich arbeite an meinem Opus Magnum mit dem Arbeitstitel „Macht und Widerstand“. Es geht um zwei exemplarische Geschichten über einen Apparatschik und einen Widerstandskämpfer – und das anhand 50 Jahre bulgarischer Geschichte.

Und was liest du zur Zeit?

Ich habe gerade bei der afrikanischen Literaturtagen in Frankfurt ein Gespräch moderiert und die Bücher der Autoren gelesen. Einer der Autoren ist Helo Habila aus Nigeria, der merkwürdigerweise den Deutschen Krimipreis gewonnen hat, was insofern interessant ist, weil inzwischen ja alles Krimi sein muss. Krimi ist das Genre unserer Zeit. Entweder versuchen alle Krimis zu schreiben oder selbst diejenigen, die keine Krimis schreiben, werden in der Rezeption dann einfach als Krimi-Autoren tituliert.

Bevor du vor allem als Romancier bekannt wurdest, hast Anfang der 90er Jahre afrikanische Literatur verlegt. Jüngst kritisiertest du in der Süddeutschen Zeitung, dass afrikanische Literatur im Literaturbetrieb nach wie vor marginalisiert werde. Es hat sich demnach nichts verändert?

Grundsätzlich ist es so, dass fremde Literatur bei uns wahrgenommen und rezepiert wird, wenn sie möglichst wenig fremd ist. Das heißt, dass eigentlich das, was Literatur leisten könnte – nämlich uns das Unbekannte näher zu bringen, uns dadurch mit uns selbst zu konfrontieren, uns zu irritieren und zu provozieren –, eigentlich nicht angenommen wird. Je abwegiger, je sperriger, auch kulturell sperriger ein Roman ist, desto weniger wird er weitergegeben. In dem Sinne hat sich nichts Wesentliches verändert.

Könntest du dich den Lesenden von ]trash[pool kurz vorstellen? Kannst du deinen Stil umreißen – oder geht das grundsätzlich nicht?

Mein Stil ist, dass ich keinen Stil habe. Ganz grob gesagt gibt es zwei Arten von Autoren. Jene, die an einer Stelle bohren, und jene, die immer mal wieder woanders Bohrungen machen. Jene, die wie an Thomas Bernhard an einer Stelle bohren, haben irgendwann einen ganz eigenen Stil entwickelt und diesen vertiefen sie. Es kommen kleinere Variationen, kleine Drehungen vor, aber im Großen und Ganzen ist die Welt, die sie beschreiben, das Vokabular, das sie benutzen, sind die Figuren, die sie vorstellen, doch sehr ähnlich. Die literarische Stärke entsteht dann durch die Verdichtung. Und natürlich auch durch eine gewisse Geläufigkeit für den Leser, der mit dieser Welt, mit diesem Stil, eine Vertrautheit herstellt, die angenehm ist. Es gibt viele Leser, die das sehr mögen, wenn sie den Sound eines Autors immer wiedererkennen. Bei mir ist es so, dass ich den Stil, den Sound je nach Thema, nach Konstruktion und Handlung anpasse, verändere. Deshalb ist der Stil zwischen „Die Welt ist groß“, „Weltensammler“ und „Eistau“ extrem unterschiedlich.

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