„Noch warten alle auf die Dunkelheit und darauf, dass einer den Anfang macht. Bis vor wenigen Minuten warf der Himmel noch Pastellfarben aufs Meer, übergießt es aber schon bald mit schwarzem, im Mondlicht glänzendem Lack. […] Der Strand ist voller Menschen; eine Menge Touristen, vor allem aber Thais. Einige stehen allein am Wasser, manche in kleinen Gruppen. Aus Respekt halten alle Abstand zueinander. Neben Bastian bereitet ein Paar mit einem Säugling schweigend ihre Laterne vor. Er fragt sich, um wen sie wohl trauern. Vielleicht haben sie beim Tsunami ihre Partner verloren, vielleicht Freunde oder Eltern, vielleicht sogar ihr Erstgeborenes. Als der Mann den Lampion am Gerippe aus dünnem Bambusspan anhebt, knistert das Papier leise im Wind. Das Baby noch im Arm, kniet sich die Frau in den Sand, wartet mit dem Anzünden der Fackel aber, bis über dem Wasser das erste Leuchten zu sehen ist. Kurz darauf steigen hunderte Laternen auf einmal lautlos in die Dunkelheit auf. Auch die Frau zündet ihren Lampion jetzt an, der sich sich von der heißen Luft sofort aufbläht. Gemeinsam mit dem Mann hält sie ihn einen Augenblick lang fest, dann lassen sie gleichzeitig los. […] Schnell füllen die Laternen beinahe den ganzen Nachthimmel aus; sie schweben aufs Meer hinaus und neigen sich im Wind. Ein paar von ihnen drohen nach einer leichten Böe fast zu kippen und fallen zurück, holen die anderen Lampions jedoch bald wieder ein und schießen dann schief an ihnen vorbei. Schon nach wenigen Minuten bilden sie nur noch kleine Leuchtpunkte über der Andamanensee, bis sich ihre Spuren allmählich am Horizont verlieren.“
Monat: Dezember 2014
Kein #Neuland in Sicht? Über Literaturblogs und (fehlende) Innovationen in der Verlagswelt
Es gibt einen guten Grund, warum ich als Autor meine Homepage aufgegeben habe, um stattdessen einen Blog zu führen: Es ist, wie ich glaube, die logische Konsequenz angesichts einer Literaturwelt im Umbruch. Die Art und Weise, wie Literatur wahrgenommen und sichtbar gemacht wird, hat sich in den letzten Jahren spürbar verändert und den Weg für Innovationen bereitet. Etablierte Verlage müssen endlich angemessenere, bessere Antworten auf das finden, was Frau Merkel unlängst etwas unglücklich als Neuland bezeichnete.
Blogs machen dem Feuilleton die Deutungshoheit streitig
Längst kann das klassische Feuilleton nicht mehr die alleinige Deutungshoheit über Bücher und Autoren für sich beanspruchen; Rezensionen in Blogs oder Leserunden auf Plattformen wie Lovelybooks spielen eine immer wichtigere Rolle in der Rezeption von Literatur. Sie ermöglichen nicht nur einen ganz neuen Dialog zwischen Autor und Leser, sondern bilden dank der Vernetzung engagierter Buchliebhaber (bspw. We read Indie) auch ein Gegengewicht zu einer Verlagswelt, die sich teils im Programm, vor allem aber im Marketing bloß noch auf sichere Blockbuster verlässt. In der Masse fehlt inzwischen immer öfter die Klasse: Die inflationären Promi-Biografien etwa sind das literarische Äquivalent zu Katzenvideos auf Youtube. In den Blogs entscheiden (bestenfalls) aber weder Werbeetats noch Programmschwerpunkte, welche Bücher besprochen werden – eine große Chance für Indie-Verlage und ihre Autoren: Da stehen Blockbuster neben Nischentiteln, Klassiker neben Newcomern, Selfpublisher neben Starautoren. Sicher gibt es auch Beeinflussungen seitens der Verlage; jeder Blogger kämpft schließlich um das knappe Gut Aufmerksamkeit und die Chance, aus der Masse an Gleichgesinnten herauszustechen. Das ändert dennoch nichts daran, dass ihre Stimmen ernst genommen werden. Und zwar zurecht: Ich bin bereits in meiner ersten Woche auf WordPress auf so viele interessante Blogs (und Bücher!) gestoßen, dass ich mit dem Lesen kaum hinterher komme – und dabei habe ich wahrscheinlich gerade mal die Spitze des Eisbergs freigelegt [Anm.: Es steht jedem Leser frei, hier seine eigene Titanic-Analogie einzufügen; ich habe mir meine eigene gerade so verkneifen können.]. Wie ernst Verlage diese neuen Stimmen nehmen, zeigt sich nicht nur durch ihre große Bereitschaft zur Kooperation, sondern auch am aktuellen Trend zum verlagseigenen Blog – S. Fischer oder Suhrkamp seien hier nur als Beispiele genannt. (mehr …)
Text: Schaumschläger (mit Vorbemerkung)
Vorbemerkung
Ich muss gestehen: Kurzgeschichten liegen mir nicht. Fast immer, wenn ich eine gute Idee habe, verknüpft sie sich in meinem Kopf sogleich mit der nächsten; wie Puzzleteile sammle und vernetze ich sie dann solange, bis sie ein größeres Bild ergeben. Manche stellen sich als Keimzelle für einen Roman heraus, andere enden in diesem vielleicht nur als Nebensatz. Gemeinsam ist ihnen, dass sie fast immer vom nächsten „großen Ding“ aufgesaugt werden. Offenbar zwingt mich eine sadistische Ader dazu, lieber im großen Stil zu scheitern und zwei Jahre an einem Roman zu arbeiten, der vielleicht ungelesen in der Schublade landet, als im selben Zeitraum ein paar Dutzend Erzählungen zu schreiben.
Eigentlich kann ich gut damit leben; das Herumbasteln an der Architektur eines Plots ist für mich sogar die schönste, aufregendste Phase der ganzen Arbeit. Auch viele andere Romanautoren schreiben keine Kurzprosa, zumal es in Deutschland (anders als beispielsweise in den USA) ohnehin keinen Markt für short stories gibt. Allerdings hat die Sache einen Haken: Romanauszüge eignen sich nur selten für Literaturzeitschriften und Wettbewerbe. Oft gibt es nur wenige in sich geschlossene Stellen, die ohne weiteren Kontext funktionieren – und das sind dann auch nicht zwingend die besten.
Noch schwieriger wird es bei Ausschreibungen mit festen Themenvorgaben. Diese sind zwar meist so vage, dass man praktisch alles einsenden könnte, manchmal aber auch so konkret, dass selbst ein bequemer Hund wie ich nicht darum herum kommt, eigens einen Text für die Ausschreibung zu verfassen.
Für den Wettbewerb der Tübinger Poetikdozentur – dem Würth Literaturpreis – gab es im vergangenen Jahr folgende Vorgabe: Die Schönheitskönigin Sarah Rotblatt fährt an einer Tankstelle vor. Mein Beitrag, eine oral history voller unzuverlässiger Erzähler, ist sehr speziell geworden und etwas, nun, schräg. Wenn ich schon eine Kurzgeschichte schreibe, muss sie für mich auch anders sein als das, was ich in meinen Romanen mache – solche Experimente können, müssen aber nicht immer gelingen. Aus diesem Grund wird „Schaumschläger“ vermutlich kaum den Weg in mein nächstes „großes Ding“ finden, sich auf diesem Blog aber sicher wohler fühlen als in meiner Schreibtischschublade. Viel Spaß beim Lesen! (mehr …)
[sic!]: Dissen mit Tradition (1)
Öffentliche Verkehrsmittel offenbaren sich doch immer wieder als faszinierendes Kaleidoskop menschlicher Kommunikation. Kürzlich wurde ich an einer Haltestelle Zeuge einer bemerkenswerten sprachlichen Rückbesinnung. Ich lauschte einer Gruppe halbstarker Gymnasiasten, deren Duktus und Vokabular deutlich von den Vertretern der hiesigen Gangsta-Rap-Szene geprägt war, und machte mir Gedanken über die freimütige Beschneidung unserer Mutter[sprich: mudda]sprache. Gerade in Zeiten, in denen sich im eigenen Dialekt gefangene Politiker öffentlich um die Qualität unserer Sprache und die Bedingungen für gelungene Integration sorgen, lohnt es sich schließlich, den Blick (oder das Ohr) auch einmal auf die deutsche Jugend zu richten. Eine sehr wohlwollende Vermutung: Die zunehmende Beschränkung auf szenetypisches Rumpfdeutsch ist nichts weniger als ein hochinnovativer Ansatz zur Völkerverständigung: Indem die Jugendlichen den mitunter bürgerlichen Wortschatz ihres Elternhauses integrationsfreundlich wegrationalisieren, begegnen sie selbst unseren ausländischen Mitbürgern ohne Sprachpraxis auf Augenhöhe. Zurück zur Situation an der Haltestelle. Mitten im Gespräch – ein spielerischer beef übrigens – hörte ich einen unserer ehrenamtlichen Streetworker aus dem gehobenen Ghetto in bestem Gangstasprech sagen: „Ey Alter, du bischt ja voll der Tunichtgut!“ Eine begrüßenswerte Losung, wie ich finde: Wenn schon dissen, dann bitte mit Tradition. Vielleicht ist es ja doch nicht so schlecht um die deutsche Sprache bestellt, wie es unsere besorgten Politiker aus Bayern zuweilen befürchten lassen. Sprache war nämlich schon immer eine Brücke. Alter.
Wie man David Foster Wallace übersetzt: Ulrich Blumenbach im Gespräch
Der Start meines Blogs ist eine gute Gelegenheit, mal einen kleinen „Klassiker“ aus unserer Zeitschrift auszugraben: Vor drei Jahren durfte ich mich für die zweite Ausgabe von ]trash[pool ausführlich mit dem literarischen Übersetzer Ulrich Blumenbach über seine (großartige!) Arbeit an den Romanen von David Foster Wallace unterhalten. Blumenbach hat u.a. Romane von Agatha Christie, Stephen Fry, Nick Hornby, Jack Kerouac und Arthur Miller ins Deutsche gebracht und ist für seine Arbeit an Wallace‘ Roman „Infinite Jest“ (dt. „Unendlicher Spaß“) mit dem Übersetzerpreis der Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Stiftung 2009 und dem Übersetzerpreis der Leipziger Buchmesse 2010 ausgezeichnet worden. Bei unserem Gespräch im Mai 2011 hatte er gerade erst die Arbeit an Wallace‘ Nachlassroman „The Pale King“ (dt. „Der bleiche König), der Ende 2013 bei Kiepenheuer & Witsch erschien, aufgenommen. Das Interview ist also nicht brandaktuell, aber, wie ich finde, so interessant, dass es nicht in den Archiven unserer Zeitschrift versauern sollte. Ulrich Blumenbach war nicht nur ein sympathischer und geistreicher Gesprächspartner, sondern sprach auch genauso druckreif, wie sich seine Worte lesen lassen – eine Fähigkeit, die man auch David Foster Wallace stets attestiert hat.
Unsere Zeitschrift trägt ja den Namen „]trash[pool“. In der Dankesrede einer Preisverleihung sagten Sie einmal, Sie kämen sich aufgrund der massenmedialen Sprachverhunzung manchmal vor wie im Todesstern-Müllschlucker des ersten Star Wars-Filmes – mit Wittgenstein gesprochen, kämen von allen Seiten die Wände Ihrer Sprache und damit auch die Grenzen Ihrer Welt auf Sie zu. Was macht die Sprache von David Foster Wallace so besonders, dass er – wie Sie sagten – eine Supernova inmitten dieser Schrottpresse zünden konnte?
Wallace weitet die Sprache einfach ganz ungeheuer aus. Er benutzt ein größeres Vokabular als die meisten Gegenwartsliteraten, versucht aber auch, die Möglichkeiten des Satzbaus zu erweitern, indem er komplexere Perioden schreibt als sie üblich sind. Die Stoffe sind in dieser Hinsicht egal – es geht erst einmal um Vokabular und Syntax, wo Wallace versucht, reichhaltiger, komplexer und weitschweifender zu schreiben als in der sonstigen Gegenwartsliteratur.
In „]trash[pool“ erscheinen neben etablierten Autoren vor allem junge Nachwuchsschriftsteller. Was kann die deutsche Literatur von David Foster Wallace lernen?
Vor allem seine Welthaltigkeit. Was mich an deutscher Literatur tatsächlich oft nervt, ist, dass sie sich manchmal zu sehr mit sich selbst beschäftigt, zu sehr literarisch-philosophische Nabelschau betreibt. Wallace hat in seinen Werken dagegen versucht, ein Maximum an Welt durch sich hindurchströmen zu lassen und dann im Werk transformiert wieder von sich zu geben. Dieses Mehr an Welthaltigkeit zeichnet aber nicht nur Wallace per se aus, sondern trifft überhaupt sehr stark auf die amerikanische Gegenwartsliteratur zu, die bereit ist, nicht snobistisch auf Populärkultur herabzusehen, sondern diese als einen selbstverständlichen Bestandteil unseres Alltags, unserer Welt aufzunehmen und deswegen auch für literaturfähig zu halten. Das ist jetzt keine Generalverdammung der deutschen Literatur – natürlich gibt es auch hier ganz wunderbare Autoren, die das machen. Dennoch glaube ich, dass das einer der entscheidenden Unterschiede zwischen amerikanischer und deutscher Prosa ist. (mehr …)
Steigt mit euren Texten in den Ring!
Wir suchen ab sofort Beiträge für die 6. Ausgabe von ]trash[pool und freuen uns über Prosa, Lyrik, Slam Poetry, Essays & Kolumnen oder Bilder für den Kunstteil. Schickt uns bis zum 31. Januar eine Mail mit Text und Vita an Redaktion@trash-pool.de – solltet ihr es in die Sommerausgabe schaffen, melden wir uns spätestens im März zurück.
An dieser Stelle noch einmal vielen Dank an Michael Marschner, der uns seine großartigen Collagen für die letzte Ausgabe und diesen Flyer zur Verfügung gestellt hat! Mehr von ihm findet ihr in ]trash[pool Nr. 5 oder auf seinem Blog!
Neue Veröffentlichung: Die Novelle Nr. 4
Ich freue mich: Mein Text „Den Horizont vergessen“ – ein Auszug aus „Dezemberfieber“ – hat es in die vierte Ausgabe von Die Novelle – Zeitschrift für Experimentelles geschafft! Bislang hatte ich noch kein Heft der Kollegen aus Bonn in der Hand, bin aber schon sehr gespannt auf das Belegexemplar. Das Cover der Ausgabe – unter dem Motto: Perfekte Planeten – kann sich jedenfalls schon mal sehen lassen! In Kürze dürfte die Zeitschrift bei Amazon erhältlich sein.
Update 3. Januar 2015: Ab heute lässt das Heft hier bestellen.