Monat: Mai 2015

Der andere Salinger

GilbertIn David Gilberts Roman „Was aus uns wird“ dreht sich alles um einen gealterten Schriftsteller, der sich vor Jahrzehnten gleich mit seinem Debüt, einem gefeierten Coming-of-age-Roman, in den Literaturkanon Amerikas schrieb und später zur Legende wurde, weil er sich aus der Öffentlichkeit zurückzog und als Autor verstummte. Die Parallelen sind kein Zufall, dennoch ist A.N. Dyer keine fiktionalisierte Version J.D. Salingers, sein Roman „Ampersand“ kein Chiffre für den „Fänger im Roggen“: Salinger ist lediglich der Maßstab für A.N. Dyers Status als Autor.

Doch Andrew Dyers Erfolge als Schriftsteller liegen lange zurück – inzwischen ist er nicht nur alt und gebrechlich, sondern hat auch längst seine Stimme verloren: Seit seiner letzten Veröffentlichung sind Jahrzehnte vergangen. Selbst die Grabrede für seinen besten Freund, Charlie Topping, traut sich Andrew nicht mehr zu und lädt sich stattdessen einen seelenlosen Standardtext aus dem Netz. Das Begräbnis seines Kindheitsfreundes veranlasst ihn jedoch dazu, seine entfremdeten Kinder für ein womöglich letztes gemeinsames Familientreffen nach New York einzubestellen. Andrew Dyer will aber nicht nur seine Angelegenheiten regeln, sondern vor allem ein lange gehütetes Geheimnis lüften.

Franzen lässt grüßen

Die Anlage von David Gilberts Roman erinnert zunächst stark an Jonathan Franzens „Die Korrekturen“: Im Vordergrund stehen die gescheiterten Biografien der Kinder, die zu einer letzten Familienzusammenkunft gedrängt werden, während eine übergeordnete Handlung – hier: die New Yorker Literaturszene und der lange Schatten des Jahrhundertromans „Ampersand“ – die Erzählstränge beisammenhält. Wie so häufig ist der Nachwuchs im Schatten eines großen Mannes verkümmert. Andrew Dyer war kein besonders guter Vater, entsprechend schlecht ist das Verhältnis zu seinen erwachsenen Söhnen Richard und Jamie, die bislang nur wenig im Leben erreicht haben. Ex-Junkie Richard, inzwischen Familienvater und Drogenberater, hofft auf den großen Durchbruch als Drehbuchautor, wird aber nur deshalb von einem Hollywood-Star hofiert, weil dieser auf die Filmrechte von „Ampersand“ schielt. Jamie reist dagegen mit seiner Kamera als Elendstourist durch die Welt und dokumentiert in Kurzfilmen das reale Grauen, ohne etwas dabei zu empfinden. Ihr Stiefbruder Andy – zumindest offiziell das Ergebnis eines Seitensprungs, der die Ehe der Dyers zerstörte – ist den beiden fremd. Der erst siebzehnjährige Andy lebt alleine bei seinem immer anhänglicheren Vater und will eigentlich nur eines: endlich seine Jungfräulichkeit verlieren.

So weit, so Franzen – wäre da nicht noch Philip Topping, Sohn des verstorbenen Charly und Erzähler des Romans. Philip ist nicht bloß ein großer Bewunderer A.N. Dyers, sondern sehnte sich schon immer danach, Teil von dessen Familie zu sein. In Sachen Scheitern steht Philip seinen Wunschbrüdern in nichts nach: Er ist als Lehrer suspendiert, hat nach einer Affäre seine Familie verloren und wird vermutlich nie über den Status eines Möchtegern-Schriftstellers hinauskommen. Viel stärker nagt an ihm jedoch die Ablehnung, die er bereits als Kind durch Richard und Jamie erfahren hat; sie haben Philip nie als ihresgleichen akzeptiert, sondern bloßgestellt und gehänselt, wann immer sich ihnen die Gelegenheit bot. Dass ausgerechnet ihr Opfer Philip, seit Kindheitstagen gequält von unerwiderter Zuneigung, über ihr Leben schreibt, macht ihn zu einem höchst unzuverlässigen Erzähler, dem man als Leser (und als Dyer!) nicht trauen sollte. Philip bleibt zwar immer in der Nähe der Figuren – teils, weil er nach dem Rauswurf seiner Ehefrau und dem Tod seines Vaters einige Tage bei Andrew wohnen darf, teils, weil er den Dyers wie ein Stalker nachspürt -, ist aber nur an den wenigsten Szenen des Romans unmittelbar beteiligt. (Vorsicht, beim Weiterlesen drohen Spoiler!)  (mehr …)

Stichproben aus einem Literaturautomaten

DSC_0425Ich muss gestehen: Die Anzahl der Sonnentage verhält sich derzeit leider antiproportional zu der meiner Blogeinträge. Doch (Zeit-)Not macht bekanntlich erfinderisch: Gute Literatur findet man schließlich nicht nur in dicken Wälzern, sondern auch in kurzen, manchmal sogar Kürzesttexten. Während ich in meiner letzten Rezension das Preis-/Leistungsverhältnis einer großartigen, im Format jedoch aufgeblasenen Kurzgeschichte von David Foster Wallace thematisierte, gehe ich heute sogar noch einen Schritt weiter und stelle Literatur im Miniaturformat vor: Texte aus dem Automaten.

Seit 2006 haben Pamela Granderath und Christine Brinkmann an inzwischen 15 Standorten – meist Kulturzentren – Literaturautomaten aufgestellt, an denen man sich für zwei Euro von Texten unterschiedlichster Art überraschen lassen kann. Bis auf den Titel und den Namen des Autors bzw. der Autorin weiß man nicht, was einen erwartet; auch online wird nicht verraten, ob sich in den Schachteln ein Heftchen mit Prosa oder Lyrik verbirgt. Zudem gibt es noch einen Überraschungsschacht, in dem es immer wieder Neues zu entdecken gibt – nach eigenen Angaben vielleicht sogar ein Daumenkino.

Schon als Kind habe ich mein hart erschnorrtes Taschengeld gerne in Automaten gesteckt und damals eine – zugegeben: etwas verschrobene – Sammelleidenschaft für jene Stoffwürmer entwickelt, die man an vermeintlich unsichtbaren Fäden hinter sich her ziehen konnte; über mein späteres, jahrelanges Münzinvestment hülle ich an dieser Stelle lieber den Mantel des Schweigens (wenn auch mit einem nervösen, hypochondrischen Hüsteln). Bei den vier Euro, die ich im Stuttgarter Kulturzentrum Merlin ließ, hatte ich jedenfalls das überaus seltene Gefühl einer sinnvollen Automateninvestition. Von den zehn Schächten war die Hälfte bereits ausverkauft, also entschied ich mich spontan für die Titel, die mich auf den ersten Blick am neugierigsten machten. (mehr …)

Buchtrailer und Videoleseprobe meines Romans „Dezemberfieber“

Gestern war für mich ein ganz besonderer Tag, auch und vielleicht sogar vor allem aufgrund der vielen positiven Resonanz auf die Bekanntgabe meiner Romanveröffentlichung. Weil mir noch immer ein bisschen die Worte fehlen, lasse ich heute ausnahmsweise mal die Bilder sprechen und zeige euch den – übrigens eigens erstellten – Buchtrailer sowie eine Videoleseprobe aus Dezemberfieber. Alleine vor einer Kamera auf einem Stapel Bücher zu lesen, ist eine recht merkwürdige Erfahrung – angesichts diverser Fehlversuche war es aber zumindest ein geduldiges Publikum… Den Romanauszug aus dem Video gibt es übrigens bei duotincta zum Nachlesen!

Viel Spaß beim Schauen!

Mein Roman „Dezemberfieber“ erscheint bei duotincta!

Dezemberfieber-CoverLange habe ich darauf warten müssen, die Bombe platzen zu lassen, aber jetzt kann, jetzt muss es aus mir heraus: Mein Debütroman Dezemberfieber wird im Sommer/Herbst im Verlag duotincta veröffentlicht! Nach Jahren harter, aber dankbarer Arbeit kann ich es kaum erwarten, das Buch in den Händen zu halten und endlich gelesen zu werden – vorbestellen könnt ihr es ab sofort!

Die Veröffentlichung des Romans ist aber nicht nur für mich eine große Sache: Dezemberfieber ist Teil des ersten Belletristikprogramms von duotincta, einem ambitionierten neuen Verlag, dessen überaus gelungene Website erst gestern das Licht der Welt erblickt hat. Mit ihren frischen Ideen und ihrem Engagement für anspruchsvolle Literatur abseits des Mainstreams haben mich die Macher von duotincta – Jürgen Volk, Ansgar Köb und Michael Wallmeyer – schnell davon überzeugen können, dass Dezemberfieber bei ihnen in den richtigen Händen ist. Duotincta wird aber nicht nur eigene Bücher veröffentlichen, sondern sucht in einer Kooperative auch den Zusammenschluss mit anderen Indie-Verlagen und Buchhandlungen, um ein Gegengewicht zu Branchenriesen wie Amazon zu schaffen. Und als Blogger finde ich natürlich sehr sympathisch, dass duotincta diese auf der Website genauso ernst nimmt wie Vertreter der Presse.

Noch habe ich die Titel meiner neuen „Kollegen“ nicht lesen dürfen, bin auf deren Lektüre aber bereits wahnsinnig neugierig – ganz besonders auf Crystal. Klar., in dem Dominik Forster auf seine „Karriere“ als Crystal Meth-Junkie, Dealer und Sträfling zurückblickt. Die Leseprobe macht jedenfalls Lust auf mehr.

Aber keine Sorge: Auch wenn ich hier in Zukunft selbstverständlich dann und wann auf Dezemberfieber, mein Schreiben und duotincta zu sprechen komme, wird sich mein Blog weiterhin in erster Linie um Literatur und andere feuilletonistische Themen drehen: Die Auseinandersetzung mit Büchern und der Austausch mit anderen bibliophilen Bloggern bereiten mir nämlich viel zu viel Freunde, um hier bloß noch Eigenmarketing zu betreiben! Dennoch freue ich mich natürlich über jeden, der sich darüber hinaus auch für meine Herzensangelegenheit Dezemberfieber interessiert (und, wenn er denn mag, deren Facebook-Seite folgt)!