Monat: Januar 2017

Der Teufel ist im Kommen. Zwei Reportagen über die Zeit, in der wir leben (2/2)

In dieser Woche stelle ich zwei Reportagen vor, die auf den ersten Blick scheinbar nichts miteinander gemein haben: Während Nadine Wojcik dem Exorzismusboom in Polen auf den Grund geht, schreibt David Foster Wallace über seinen Besuch einer Pornomesse im Jahr 1998. Beide Texte berichten über Parallelwelten, die unterschiedlicher kaum sein könnten – und dennoch erschreckend symptomatisch für die Zeit sind, in der wir leben.

2. „Der große rote Sohn“ von David Foster Wallace

9783462316148Was den meisten Menschen zu David Foster Wallace einfällt? Sicher zuerst sein Meisterwerk Unendlicher Spaß, an das sich aufgrund seiner Länge und Komplexität nur die wenigsten herantrauen. Und an zweiter Stelle? Vermutlich das unendliche Leid, das er in vielen seiner Texte verarbeitete und das den schwerdepressiven Wallace 2008 in den Selbstmord trieb. In jedem Fall ist David Foster Wallace als scharfsinniger Beobachter des Zeitgeists und einer der klügsten Autoren seiner Generation bekannt. Was viele nicht wissen: Er war auch einer der lustigsten. Gerade seine nicht-fiktionalen Texte – allen voran die Kreuzfahrt-Reportage Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich – sind deshalb ein idealer Einstieg in sein Werk. Sie sind zugänglicher als seine oft sperrige Kurzprosa und deutlich kürzer als die Romane, zeigen aber alles, was Wallace so besonders machte: seine sprachliche Brillanz und seinen Humor, seine präzise Beobachtungsgabe und seine Neugierde, nicht zuletzt aber auch seine Fähigkeit, vom Kleinen aufs große Ganze zu schließen. Der große rote Sohn, wie die meisten seiner Texte kongenial von Ulrich Blumenbach übersetzt, ist von all seinen Reportagen wahrscheinlich die amüsanteste.

1998 reist Wallace im Auftrag einer Zeitschrift nach Las Vegas, um dort über eine der größten Preisverleihungen der Pornobranche und die damit verbundene Messe zu schreiben – im Schlepptau von zwei Brancheninsidern, die nicht nur mit allerhand Gossip aufwarten können, sondern ihm auch Zugang zu dem inneren Zirkel eines berüchtigten Hardcore-Produzenten verschaffen. Süffisant kommentiert Wallace die skurrilen, teils auch erschreckenden Eigenheiten dieser Parallelwelt und stellt fest: „Vieles an der heutigen Pornoindustrie scheint eine unbeholfene Parodie von Hollywood und der ganzen Nation zu sein.“ In seinen Beobachtungen entlarvt er die ganze Lächerlichkeit eines Geschäfts, das es wirtschaftlich locker mit Hollywood aufnehmen kann; nicht umsonst nennen es Brancheninsider den bösen Zwilling von Hollywood – oder den „großen roten Sohn“ des Mainstreams. Wallace schaut hinter die Fassaden der Branche und die der Menschen, die in ihr arbeiten – sofern hinter den grell überschminkten Gesichtern überhaupt etwas zu finden ist. Aller (unfreiwilligen) Komik zum Trotz interessiert er sich vor allem für das, was Pornografie aus der Gesellschaft und uns Menschen macht: sowohl aus denen, die sie konsumieren, als auch aus denen, die sie schaffen. Auch sich selbst nimmt der Autor aus seinen Beobachtungen nicht heraus: Wie fühlt er sich, wenn er mit Frauen, die er zuvor bloß aus Pornos kannte, plötzlich gemeinsam in einem Hotelzimmer sitzt?

Make Hardcore great again

So witzig sich Der große rote Sohn oft auch liest, Wallace erliegt nie der Versuchung, sich dem Klamauk hinzugeben. Vielmehr bereitet ihm die Entwicklung der Branche ernsthaft Sorgen: Weil sich mit gewöhnlicher Pornografie kaum noch schockieren und Aufmerksamkeit erzeugen lässt – auch aufgrund der zunehmenden Bedeutung des Internets – werden die Grenzen des guten Geschmacks immer weiter verschoben. Die Erotikindustrie führt, ähnlich wie die Tabaklobby, längst einen PR-Kampf gegen die political correctness. Aufgrund der Zwänge der Aufmerksamkeitsökonomie werden Pornos werden immer härter, immer frauenfeindlicher, immer perverser; in den Augen von Wallace verändert dies nicht nur die Branche, sondern auch unsere Gesellschaft. Und führt uns geradewegs in die heutige Zeit. Denn obwohl David Foster Wallace seine Reportage bereits 1998 schrieb, wirkt sie an manchen Stellen aktueller denn je. Insbesondere seine Begegnung mit dem Pornoproduzenten Max Hardcore liest sich in diesen Tagen wie eine bitterböse Satire auf Donald „Grab them by the Pussy“ Trump; immer wieder fühlt man sich an seine Hybris, seine Vulgarität, seine gefährliche Lächerlichkeit erinnert. Etwa, als der egozentrische Produzent (der sich, weil seine Filme bislang nie einen Preis bekamen, im letzten Jahr einfach eine Trophäe stahl) ein geeignetes Coverfoto für die Reportage von Wallace vorschlägt:

„Max Hardcore mit mehreren AVN-Trophäen in den Armen, die er, sein Ehrenwort, alle ehrlich gewinnen oder halt auf andere Weisen an sich bringen wird, und er sitzt in einem majestätischen und echt hübschen Sessel mitten auf dem palmengesäumten Boulevard des berühmten Las Vegas Strip – damit der Fotograf jede Menge verschwommenes Neon und angemessen phallische Gebäude aufs Bild bekommt -, während sich eine Entourage leicht geschürzter Starlets verzückt über ihn drapiert, ihm zu Füßen liegt oder beides. Hier ist unbedingt anzumerken, dass keinerlei ironische Gänsefüßchen zu hören sind, und Max’ Gesicht zeigt keine Spur von Verlegenheit, Beschämung oder Befangenheit, während er uns die Szene ausmalt; er ist ungefähr so ernst, wie Irving Thalberg immer gewesen sein muss.“

Knapp zwanzig Jahre später ist die Verrohung, die Wallace im Hinblick auf die Pornoindustrie befürchtete, längst zum Teil unserer politischen Kultur geworden. Provokationen und Tabubrüche, die vor einiger Zeit noch das gesellschaftliche und politische Aus bedeutet hätten, sind inzwischen der einzige zuverlässige Garant für Aufmerksamkeit. Früher wurde ein egozentrisches Großmaul wie Max Hardcore nur Pornoproduzent, heute wählt man jemanden wie ihn zum mächtigsten Mann der Welt – noch so ein großer roter Sohn, könnte man meinen. Keine Frage: David Foster Wallace würde unsere Gegenwart kaum ertragen. Aber er hätte umso mehr über sie zu sagen gehabt. Sein Scharfsinn und sein sezierender Humor fehlen in diesen Tagen mehr denn je.


David Foster Wallace: Der große rote Sohn. Aus dem Amerikanischen von Ulrich Blumenbach. Erschienen bei Kiepenheuer & Witsch. Mehr zum Autor auf meinem Blog: Vor einigen Jahren sprach ich mit Ulrich Blumenbach über die Übersetzung von Wallace‘ Romanen. Außerdem habe ich im Mai 2015 seine Kurzgeschichte Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache besprochen.

Der Teufel ist im Kommen. Zwei Reportagen über die Zeit, in der wir leben (1/2)

Es ist kompliziert. Das wäre meine Antwort, würde mich Facebook nach meinem Beziehungsstatus mit dem aktuellen Weltgeschehen, dem Zeitgeist, fragen. Und so geht es vielen. Immer mehr Menschen sehnen sich nach einfachen Antworten, sie blenden aus, was nicht ins Bild passt, anstatt zu versuchen, die Komplexität unserer Gegenwart zu begreifen (was diese leidige Geschichte mit dem Weltgeschehen jüngst wiederum deutlich komplizierter machte). Ich glaube nicht an einfache Lösungen. Verknappung und Simplifizierung sind nicht die Antwort auf die Fragen unserer Zeit. Ich glaube an Empathie, an die Notwenigkeit, den Dingen auf den Grund zu gehen und sie zu hinterfragen, an die Bereitschaft, die Motive anderer zu respektieren und zu verstehen. Dafür braucht es guten Journalismus. Und einen Platz, um diesen zu veröffentlichen.

Bereits an anderer Stelle habe ich darüber geschrieben, welche Chancen digitale Veröffentlichungen der Langstrecke, etwa ausführlichen Essays und Reportagen, bieten. Exemplarisch stelle ich in dieser Woche deshalb zwei Reportagen vor, die auf den ersten Blick scheinbar nichts miteinander gemein haben: Während Nadine Wojcik für Mikrotext dem Exorzismusboom in Polen auf den Grund geht, schreibt David Foster Wallace über seinen Besuch einer Pornomesse im Jahr 1998. Beide Texte berichten über Parallelwelten, die unterschiedlicher kaum sein könnten – und dennoch erschreckend symptomatisch für die Zeit sind, in der wir leben.

Teil 1: Nadine Wojcik: Wo der Teufel wohnt. Besessene und Exorzisten in Polen

Cover - Nadine Wojcik - Wo der Teufel wohntWie wenig wir doch über unsere eigenen Nachbarn wissen! Natürlich schauen wir seit Jahren genauso besorgt nach Polen wie nach Ungarn oder Russland: aufgrund des wiedererstarkten Nationalismus, der Aushöhlung von Demokratie, Rechtsstaat und freier Medien. Aber wie wenig wir wirklich von den Menschen wissen, die uns geographisch so nahe stehen, wird deutlich, wenn man Nadine Wojciks Reportage über den – man kann es wirklich so sagen – Exorzismusboom in Polen liest. Monatelang reiste die freischaffende Radioreporterin und Autorin, ein Kind polnischer Auswanderer, durchs Land, um einem Phänomen nachzuspüren, das zunächst bloß für ungläubiges Stirnrunzeln sorgt: Exorzismus – das ist doch ein Anachronismus, ein Rückfall in längst vergangene Zeiten? Ja, das ist es. Und deshalb umso symptomatischer für den aktuellen Zeitgeist.

In Polen gibt es offiziell 130 praktizierende Exorzisten, in vielen Dörfern sind sie die einzigen Ansprechpartner für seelisch notleidende Menschen. Sie werden in Zeitungen interviewt, von Politikern einbestellt, an Schulen eingesetzt. Ein Hochglanzmagazin namens Der Exorzist erscheint monatlich am Kiosk. Und wenn in Polen nicht gerade Dämonen – hervorgerufen durch satanische Fallen wie z.B. dem Internet, dem Fernsehen, Hello Kitty oder Harry Potter – ausgetrieben werden, setzt ein Wunderheiler ganze Stadien in Ekstase und erlöst die Menschen im Handumdrehen von Krebs und anderen Ärgernissen. Das klingt skurril – ist aber alles andere als witzig. Etwa, wenn Wojcik eine Befreiungsmesse besucht, in der es nicht nur erzreligiös, sondern – in Form von heftiger EU-Kritik – auch hochpolitisch zugeht. Oder wenn Menschen, die eigentlich psychologische Hilfe benötigten, systematisch an Exorzisten verwiesen werden, die ihr Vorgehen nicht einmal vor der katholischen Kirche rechtfertigen müssen. Besonders junge Frauen werden dazu gedrängt, sich einer Teufelsaustreibung zu unterziehen. Dramatische Fälle wie der von Anneliese Michel im Deutschland der Siebziger sind zwar nicht bekannt, dennoch sind manche der Szenen, die Wojcik in einer Dokumentation mitansehen muss, nur schwer zu ertragen. Obwohl ihr viele Türen verschlossen bleiben, spricht die Journalistin in ihrer Reportage unter anderem mit Exorzisten, Psychologen und Betroffenen, wird dabei aber nie herablassend oder belehrend. Vielmehr begegnet sie ihren Gesprächspartnern, selbst wenn es ihr manchmal schwerfällt, mit Aufgeschlossenheit und Respekt; umso stärker wirken im Kontrast ihre ganz persönlichen Eindrücke eines aufgeklärten Landes, das im 21. Jahrhundert wieder vom Teufel besessen zu sein scheint.

Natürlich ist der Exorzismusboom in Polen ein Spezialfall; dennoch ist er symptomatisch für eine Entwicklung, die sich derzeit überall auf der Welt abzeichnet – der Teufel hat viele Gesichter, wie Exorzisten sagen würden. Immer mehr Menschen sehnen sich nach einfachen Antworten zurück und finden sie in Dämonisierung und Dogmatismus. Auf der Suche nach Orientierung in einer zunehmend komplexeren Welt setzen sie auf absolute Wahrheiten und klare Feindbilder, sei es der Teufel, der Flüchtling oder der Mexikaner. Nadine Wojciks Reportage ist deshalb nicht nur ein wichtiger Einblick über ein hierzulande kaum bekanntes Phänomen, sondern auch ein hervorragendes Beispiel dafür, dass sich politische Entwicklungen eines Landes nur verstehen lassen, wenn man die Sorgen, Ängste und Nöte seiner Menschen kennt – und sie ernst nimmt.


Nadine Wojcik: Wo der Teufel wohnt. Besessene und Exorzisten in Polen. Erschienen bei Mikrotext, 132 Seiten. Auch sehr lesenswert ist die Besprechung auf Elektro vs. Print.

Wie man Entfremdung spielt. Über „Hier bin ich“ von Jonathan Safran Foer

img_4700Ein Scheidungsroman also. Elf Jahre nach Extrem laut und unglaublich nah meldet sich Foer mit einem Roman zurück, in dem er – zumindest oberflächlich – seine Trennung von Nicole Krauss verarbeitet. Anstelle von E-Mails an Natalie Portman sind es in Hier bin ich heimliche SMS an eine Kollegin, die die Ehe seiner Figuren in die Krise stürzen. Aber Jonathan Safran Foer wäre nicht Jonathan Safran Foer, wenn er die Ausgangssituation nicht nutzen würde, um einen sehr viel größeren Bogen zu spannen – unter der Zerstörung Israels macht er es nicht. Hier bin ich ist kein kleiner, intimer Roman über das Ende einer Beziehung, sondern eine Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Judentum, ein Roman über Entwurzelung und Entfremdung, Verlust und Neubeginn.

Anfangs sind die Sorgen von Jacob und Julia Bloch noch überschaubar: Ihr ältester Sohn Sam versucht mit allen Mitteln, seine bevorstehende Bar Mizwa zu torpedieren und verbringt seine Zeit lieber im Second Life, wo er mit großem Aufwand digitale Synagogen erbaut, nur um sie anschließend wieder zu sprengen. Dabei ist längst ein großes Fest geplant – sogar die Verwandtschaft aus Israel wird anreisen, um seiner rituellen Mannwerdung beizuwohnen. Besonders gläubig sind die Blochs allerdings nicht; sie betrachten die jüdischen Traditionen und die Anbindung an ihre Gemeinde vor allem als Teil ihrer kulturellen und familiären Identität. Zum Judentum in Israel hat Jacob schon lange den Kontakt verloren. Er war seit Jahren nicht dort, reiste mit seinen drei Kindern lieber nach Berlin als die Verwandtschaft um seinen Cousin Tamir zu besuchen. Stattdessen pflegen Jacob und Julia ihre unzähligen, so skurrilen wie liebenswerten Familienrituale wie eine Ersatzreligion; seine Notizen zu den Besonderheiten der Blochs, aus denen er eines Tages eine Fernsehsendung machen möchte, nennt der Schriftsteller nicht umsonst Bibel.

Umso schwerer wiegt für Jacob die Erkenntnis, dass seine Ehe mit Julia nach sechzehn Jahren Beziehung am Ende ist. Die aufgeflogenen SMS an seine Kollegin sind ebenso wie das sich anbahnende Techtelmechtel Julias mit einem anderen Mann nur symptomatisch für eine seit Jahren voranschreitende Entfremdung. Aus den kleinen Alltagslügen wurden immer größere, aus Verschlossenheit wurde Schweigen. Im zermürbenden Alltag ist ihre Beziehung zum bloßen Ritual verkommen, ausgehöhlt wie eine religiöse Tradition, die ohne Glauben nur noch dem Selbstzweck dient. Das einzige, was sie – obwohl sie noch Fürsorge füreinander empfinden – miteinander verbindet, sind ihre Kinder und die gemeinsame Geschichte.

Damit geht es Jacob und Julia ähnlich wie den amerikanischen Juden und dem israelischen Volk. Sie teilen denselben Glauben, sind durch ihre Geschichte und Traditionen miteinander verbunden, und doch führen sie – trotz Sympathien und einem moralischen Verantwortungsgefühl füreinander – so unterschiedliche Leben, dass sie sich voneinander entfremdet haben. Als Jacobs Cousin Tamir mit seinen Kindern zu Sams Bar Mizwa anreist, geschieht in dessen Heimat das Unfassbare: Nachdem ein Erdbeben Israel und seine Anliegerstaaten verwüstet hat, eskaliert die politisch angespannte Situation zum Krieg. Das Entsetzen über die Katastrophe ist so groß, dass sich Jacobs Großvater, der damals vor dem Holocaust in die USA floh und das einzige Bindeglied zwischen der amerikanischen und israelischen Familienseite ist, das Leben nimmt. Als die israelische Regierung an alle amerikanischen Juden appelliert, „heimzukehren“ und für Israel in den Krieg zu ziehen, glaubt Jacob – unter dem Eindruck seiner drohenden Scheidung – endlich Verantwortung übernehmen zu müssen, um seine kulturelle Heimat vor dem Untergang zu bewahren.

In den ersten Kapiteln von Hier bin ich macht es Jonathan Safran Foer seinen Lesern nicht leicht, in den Roman zu finden; nach anfänglichen Orientierungsproblemen habe ich den gewohnten Einfallsreichtum, die eigenwilligen Figuren und den Sprachwitz Foers jedoch sehr genossen. Besonders in der ersten Hälfte ist Hier bin ich ein tieftrauriger Roman, der es aller Schwermut zum Trotz immer wieder schafft, zum Lachen zu bringen. Wie in seinen ersten beiden Romanen sind es vor allem die vielen kleinen, cleveren Einfälle – etwa die Familienrituale der Blochs -, die Foers Geschichten zu etwas Besonderem machen. Zugleich sind manche von ihnen aber auch zu schön, um wahr zu sein. Auch seine Figuren, in erster Linie Jacobs und Julias etwas altklugen Kinder, wirken gelegentlich eher wie die Verkörperungen von Ideen, als dass sie echten Menschen glichen. Stets lässt Foer sie besonders witzige und kluge Dinge sagen, stets lässt er sie genau die richtigen Fragen stellen. Das ist unterhaltsam und oft intelligent, geht zugleich aber auf Kosten ihrer Glaubwürdigkeit. Das Artifizielle an Jonathan Safran Foers Art, zu schreiben, kann man mögen. Muss man aber nicht.

Während die Ehekrise zwischen Jacob und Julia in der ersten Hälfte für große Spannung sorgt, franst der Roman nach der Katastrophe in Israel ein wenig aus. Die vielen, langen Dialoge werden irgendwann zu viel und zu lang und die klugen Kinder zu klug, auch Jacob schafft es irgendwann, nicht mehr nur Julia auf den Geist zu gehen. Rundum gelungen wird es erst wieder, wenn Jonathan Safran Foer mit einem Kapitel aus Jacobs Bibel die lineare Erzählstruktur aufbricht und darin episodische Schlaglichter auf die Vergangenheit und die Zukunft der Blochs wirft. Vielleicht wäre es besser gewesen, den Roman in diesem Mosaikstil auch enden zu lassen. Und symbolischer: Die Einheit, die in der Familie, im Judentum, im Erzählen anfangs herrschte, lässt sich nach dem Bruch nicht wieder herstellen. Es braucht Willen und manchmal auch Kraft, um eine Verbindung aufrecht zu erhalten.


Jonathan Safran Foer: Hier bin ich. Aus dem Amerikanischen von Henning Ahrens. Erschienen bei Kiepenheuer & Witsch, 688 Seiten. Sehr gegensätzliche und lesenswerte Rezensionen erschienen jüngst auch bei Schöne SeitenBuchrevier, Buzzaldrins Bücher sowie Wortmax.

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Wir suchen Texte und Bilder für die achte Ausgabe von ]trash[pool, die zur Frankfurter Buchmesse im Oktober erscheinen wird! Alle wichtigen Infos zu Einsendungen findet ihr hier. Schickt uns eure Beiträge bis zum 15. Februar an redaktion@trashpool.net – wir sind gespannt!