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Stuttgart, deine Angst

LIFT 11-18Ab heute am Kiosk: die Novemberausgabe vom Stuttgartmagazin LIFT – und die erste, in der ich als Redaktionsmitglied meine eigenen Themen betreuen durfte! Entsprechend stolz bin ich natürlich, das Heft gleich mit einem eigenen Artikel zu eröffnen. Für Stuttgart, deine Angst habe ich mich mit Preppern, einem Survivaltrainer, Verschwörungstheorieforscher Michael Butter und der Telefonseelsorge darüber unterhalten, warum unsere Gesellschaft immer ängstlicher wird. Spoiler: Es liegt auch an der Diskursverschiebung seitens der AfD und Medien wie dem Kopp-Verlag hier aus der Region, die in der Angst der Menschen vor allem ein Geschäftsmodell sehen.

Stuttgarter sollten das Heft natürlich sowieso und immer kaufen – alle anderen können meinen Artikel aber hier auch online lesen.

Der Teufel ist im Kommen. Zwei Reportagen über die Zeit, in der wir leben (1/2)

Es ist kompliziert. Das wäre meine Antwort, würde mich Facebook nach meinem Beziehungsstatus mit dem aktuellen Weltgeschehen, dem Zeitgeist, fragen. Und so geht es vielen. Immer mehr Menschen sehnen sich nach einfachen Antworten, sie blenden aus, was nicht ins Bild passt, anstatt zu versuchen, die Komplexität unserer Gegenwart zu begreifen (was diese leidige Geschichte mit dem Weltgeschehen jüngst wiederum deutlich komplizierter machte). Ich glaube nicht an einfache Lösungen. Verknappung und Simplifizierung sind nicht die Antwort auf die Fragen unserer Zeit. Ich glaube an Empathie, an die Notwenigkeit, den Dingen auf den Grund zu gehen und sie zu hinterfragen, an die Bereitschaft, die Motive anderer zu respektieren und zu verstehen. Dafür braucht es guten Journalismus. Und einen Platz, um diesen zu veröffentlichen.

Bereits an anderer Stelle habe ich darüber geschrieben, welche Chancen digitale Veröffentlichungen der Langstrecke, etwa ausführlichen Essays und Reportagen, bieten. Exemplarisch stelle ich in dieser Woche deshalb zwei Reportagen vor, die auf den ersten Blick scheinbar nichts miteinander gemein haben: Während Nadine Wojcik für Mikrotext dem Exorzismusboom in Polen auf den Grund geht, schreibt David Foster Wallace über seinen Besuch einer Pornomesse im Jahr 1998. Beide Texte berichten über Parallelwelten, die unterschiedlicher kaum sein könnten – und dennoch erschreckend symptomatisch für die Zeit sind, in der wir leben.

Teil 1: Nadine Wojcik: Wo der Teufel wohnt. Besessene und Exorzisten in Polen

Cover - Nadine Wojcik - Wo der Teufel wohntWie wenig wir doch über unsere eigenen Nachbarn wissen! Natürlich schauen wir seit Jahren genauso besorgt nach Polen wie nach Ungarn oder Russland: aufgrund des wiedererstarkten Nationalismus, der Aushöhlung von Demokratie, Rechtsstaat und freier Medien. Aber wie wenig wir wirklich von den Menschen wissen, die uns geographisch so nahe stehen, wird deutlich, wenn man Nadine Wojciks Reportage über den – man kann es wirklich so sagen – Exorzismusboom in Polen liest. Monatelang reiste die freischaffende Radioreporterin und Autorin, ein Kind polnischer Auswanderer, durchs Land, um einem Phänomen nachzuspüren, das zunächst bloß für ungläubiges Stirnrunzeln sorgt: Exorzismus – das ist doch ein Anachronismus, ein Rückfall in längst vergangene Zeiten? Ja, das ist es. Und deshalb umso symptomatischer für den aktuellen Zeitgeist.

In Polen gibt es offiziell 130 praktizierende Exorzisten, in vielen Dörfern sind sie die einzigen Ansprechpartner für seelisch notleidende Menschen. Sie werden in Zeitungen interviewt, von Politikern einbestellt, an Schulen eingesetzt. Ein Hochglanzmagazin namens Der Exorzist erscheint monatlich am Kiosk. Und wenn in Polen nicht gerade Dämonen – hervorgerufen durch satanische Fallen wie z.B. dem Internet, dem Fernsehen, Hello Kitty oder Harry Potter – ausgetrieben werden, setzt ein Wunderheiler ganze Stadien in Ekstase und erlöst die Menschen im Handumdrehen von Krebs und anderen Ärgernissen. Das klingt skurril – ist aber alles andere als witzig. Etwa, wenn Wojcik eine Befreiungsmesse besucht, in der es nicht nur erzreligiös, sondern – in Form von heftiger EU-Kritik – auch hochpolitisch zugeht. Oder wenn Menschen, die eigentlich psychologische Hilfe benötigten, systematisch an Exorzisten verwiesen werden, die ihr Vorgehen nicht einmal vor der katholischen Kirche rechtfertigen müssen. Besonders junge Frauen werden dazu gedrängt, sich einer Teufelsaustreibung zu unterziehen. Dramatische Fälle wie der von Anneliese Michel im Deutschland der Siebziger sind zwar nicht bekannt, dennoch sind manche der Szenen, die Wojcik in einer Dokumentation mitansehen muss, nur schwer zu ertragen. Obwohl ihr viele Türen verschlossen bleiben, spricht die Journalistin in ihrer Reportage unter anderem mit Exorzisten, Psychologen und Betroffenen, wird dabei aber nie herablassend oder belehrend. Vielmehr begegnet sie ihren Gesprächspartnern, selbst wenn es ihr manchmal schwerfällt, mit Aufgeschlossenheit und Respekt; umso stärker wirken im Kontrast ihre ganz persönlichen Eindrücke eines aufgeklärten Landes, das im 21. Jahrhundert wieder vom Teufel besessen zu sein scheint.

Natürlich ist der Exorzismusboom in Polen ein Spezialfall; dennoch ist er symptomatisch für eine Entwicklung, die sich derzeit überall auf der Welt abzeichnet – der Teufel hat viele Gesichter, wie Exorzisten sagen würden. Immer mehr Menschen sehnen sich nach einfachen Antworten zurück und finden sie in Dämonisierung und Dogmatismus. Auf der Suche nach Orientierung in einer zunehmend komplexeren Welt setzen sie auf absolute Wahrheiten und klare Feindbilder, sei es der Teufel, der Flüchtling oder der Mexikaner. Nadine Wojciks Reportage ist deshalb nicht nur ein wichtiger Einblick über ein hierzulande kaum bekanntes Phänomen, sondern auch ein hervorragendes Beispiel dafür, dass sich politische Entwicklungen eines Landes nur verstehen lassen, wenn man die Sorgen, Ängste und Nöte seiner Menschen kennt – und sie ernst nimmt.


Nadine Wojcik: Wo der Teufel wohnt. Besessene und Exorzisten in Polen. Erschienen bei Mikrotext, 132 Seiten. Auch sehr lesenswert ist die Besprechung auf Elektro vs. Print.

Vernetzung statt Hierarchie.

Oder: Die Leanderwattisierung des Literaturbetriebs. Eine kleine Utopie

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Natürlich ist sie ermüdend, die ständige und sich im Kreis drehende Debatte um Blogs und das Feuilleton, zu der auch ich jüngst meinen Senf beisteuern durfte. Dennoch war sie eines der beherrschenden Themen der Leipziger Buchmesse 2016, zu der etwa 800 Blogger akkreditiert waren und damit doppelt so viele wie noch im Vorjahr. Die Podiumsdiskussion mit Ijoma Mangold von der Zeit brachte erwartungsgemäß nur wenige neue Erkenntnisse. Denn dass bloß über Blogger, aber nicht mit ihnen – und zwar auf Augenhöhe – gesprochen wurde, ist nicht nur symptomatisch und ignorant, sondern geradezu anachronistisch. Erhellender dagegen war Karla Pauls Vortrag auf der Konferenz blogger:sessions am Sonntag: ein leidenschaftliches Plädoyer für mehr Selbstbewusstsein seitens der Blogger, die den Diskurs über Literatur schon längst verändert, längst demokratisiert hätten. Aber auch ein Appell: Momentan seien es nämlich die Blogger selbst, die sich klein machten – es sei an der Zeit, sich endlich zu professionalisieren.

Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter: Es ist an der Zeit, sich in Stellung zu bringen. Wer noch immer glaubt, es ginge um Blogs vs. Feuilleton, der hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden; es geht hier nicht um Neuland gegen Brachland. Blogs werden das Feuilleton nicht ersetzen, sondern den literarischen Diskurs, das literarische Spielfeld erweitern – und zwar als Mit-, nicht als Gegenspieler. Sie sind Teil eines unaufhaltsamen Wandels im Literaturbetrieb, der gerade erst beginnt. Das Gegeneinander-Ausspielen, um alte Hierarchien und den eigenen Status zu verteidigen, wird irgendwann ausgedient haben. Die Zukunft gehört der Vernetzung, gehört jenen, die sich heute ganz selbstverständlich in sozialen Netzwerken bewegen und Projekte anstoßen, die in alten Strukturen kaum denkbar gewesen wären.

Offene Grenzen, neue Möglichkeiten

Die Grenzen zerfließen schon jetzt: Heute schreiben Zeitungen von Bloggern noch ab, morgen drucken sie ihre Texte und stellen sie ein. Namhaft besetzte Projekte wie tell, ein soeben gestartetes Online-Magazin für Literatur, Kritik und Zeitgenossenschaft, sind vielversprechende Zeichen des Aufbruchs. Auch bereits etablierte Blogger suchen nach neuen Wegen und Kooperationen, die Zeichen eines erstarkten Selbstvertrauens sind: Die Literaturplattform 54stories veranstaltet nun in mehreren Städten Deutschlands auch Lesungen. Erst kürzlich rief Das Debüt den ersten Blogger-Literaturpreis ins Leben. Und Tobias Nazemi von Buchrevier plant im Schulterschluss mit namhaften Bloggern eine Verlagskooperation, die – soviel sei verraten – von sich reden machen wird.

Aber auch die Verlagswelt selbst ist längst im Wandel. Die Bloggerin Karla Paul ist inzwischen Verlagsleiterin bei Edel ebooks. Mara Giese von Buzzaldrins lässt als Volontärin bei edel & electric im Verlagsblog u.a. LektorInnen und Blogger zu Wort kommen und Debatten anstoßen. Junge Lektoren wie Florian Kessler bei Hanser bringen nicht nur frischen Wind in die Verlage, sondern sind ganz selbstverständlich in den sozialen Netzwerken unterwegs und mischen dort auf Augenhöhe mit Bloggern und anderen Netzmenschen bei aktuellen Debatten mit. Ganz besonders stechen natürlich jene Netzwerker hervor, die mit ihrem vielfältigen (und scheinbar unermüdlichen) Engagement gleich an mehreren Stellen Bewegung in die Branche bringen. Felix Wegener (BOOKMARKS, Readbox, direttissima) ist so einer: Seine Medien- und Publishingkonferenz #dico16, die im April in München stattfindet, lädt zum branchenübergreifenden Austausch über Erfahrungen und Chancen digitalen Arbeitens ein; es ist, wie sollte es auch anders sein, im Prinzip eine Networking-Konferenz. Und dann ist da natürlich – last but not least – Leander Wattig, der nicht umsonst titelgebend für diesen Artikel ist. Wie kein anderer steht er für den beginnenden Wandel im Literaturbetrieb und leistet in zahlreichen Vernetzungsprojekten Pionierarbeit. Ob mit seinen vielfältigen Projekten für Orbanism oder Konferenzen wie der Leipziger Autorenrunde: Wattig bringt Menschen zusammen, die gemeinsam etwas bewegen wollen. Menschen, denen es nicht wichtig ist, was sie trennt, sondern das, was sie verbindet. Ich bin fest davon überzeugt: Hier entstehen Strukturen, die bleiben. (mehr …)

Haltung zeigen: Warum angesichts Pegida, „Lügenpresse“ & Co. ein guter Witz manchmal entwaffnender ist als ein Argument

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Manchmal weiß man schon vorher, wie eine Sache ausgeht. Man ahnt, dass der Pfannenwender zu klein ist, sieht seine Pizza dann aber trotzdem zwei Sekunden später kopfüber auf der Backofentür brutzeln. Oder lässt sich nach monatelanger Abstinenz zu dieser einen harmlosen Zigarette beim dritten Bier hinreißen und kauft sich beim fünften eine Schachtel. Die großen Dinge hängen ja oft und gerne mit den kleinen zusammen; wer sich also fragt, warum die Menschheit aus ihren Fehlern nicht schlau wird, muss sich bloß in seiner Küche umsehen, wenn er mal wieder seinen Löffel unterm voll aufgedrehten Hahn gespült hat. Als ich kürzlich – einige Wochen vor Pegida – einen Kommentar unter den Facebook-Status eines ehemaligen Schulkameraden setzte, war ich mir im Klaren darüber, dass ich es bereuen würde, ihn mir nicht (wie so oft zuvor) verkniffen zu haben. Im wunderbaren #Neuland gibt es Dinge, die man besser besser sein lässt, wenn einem seine Zeit lieb und teuer ist: Man diskutiert nicht mit den geifernden Trollen im SPON-Forum, schon gar nicht über die Leistung der Nationalmannschaft oder Jogi Löw. Und: Man weist einen AfD-Wähler mit Hang zum Wutbürgertum nicht auf Inkonsistenzen in seinem Weltbild hin.

Schon seit Jahren habe ich mich im Stillen über seine Postings geärgert, die mit geradezu missionarischem Eifer und mächtig Wut im Bauch so ziemlich jedes Klischee aktueller rechtspopulistischer Strömungen aufgreifen, mit dem nicht nur hierzulande, sondern u.a. auch in Frankreich, Italien, Niederlande oder der Schweiz Stimmung gemacht wird. Das Tückische an Menschen wie Thilo Sarrazin oder den jüngsten Parteigründungen ist ja, dass sie sich zumeist im demokratischen Spektrum bewegen, aber trotzdem hauptsächlich Themen aufgreifen, mit denen sich am rechten Rand fischen lässt. Die AfD etwa ist nicht nur ein Auffangbecken für Euroskeptiker, die einer „alternativlosen“ Europapolitik den Rücken gekehrt haben, sondern eben auch für (antiamerikanische) Verschwörungstheoretiker, Putinversteher, Islamophobiker oder Rückwärtsgewandte, denen die gesellschaftlichen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte – gerne als „Gutmenschentum“ beschimpft – zuwider sind. Wie in allen populistischen Parteien begegnet man realen Ängsten und Sorgen mit undifferenziertem Schwarz-Weiß-Denken, komplizierten Problemen mit einfachen, nicht zu Ende gedachten Lösungen. Als Partei selbst ist die AfD wohl kaum gefährlich, zumal sie sich dank aufbrechender Machtkämpfe sowie der starken Heterogenität ihrer Mitglieder zunehmend selbst im Weg steht; mehr als eine empathielose und technokratische Politik lässt sich ihr (jedenfalls in der Spitze) kaum vorwerfen. Gefährlich ist allerdings sehr wohl das Welt- und Menschenbild, das auch in ihrem Umfeld unter dem Deckmantel des Das wird man ja wohl noch sagen dürfen gegenwärtig wieder salonfähig geworden ist. (mehr …)