Haltung zeigen: Warum angesichts Pegida, „Lügenpresse“ & Co. ein guter Witz manchmal entwaffnender ist als ein Argument

pegida

Manchmal weiß man schon vorher, wie eine Sache ausgeht. Man ahnt, dass der Pfannenwender zu klein ist, sieht seine Pizza dann aber trotzdem zwei Sekunden später kopfüber auf der Backofentür brutzeln. Oder lässt sich nach monatelanger Abstinenz zu dieser einen harmlosen Zigarette beim dritten Bier hinreißen und kauft sich beim fünften eine Schachtel. Die großen Dinge hängen ja oft und gerne mit den kleinen zusammen; wer sich also fragt, warum die Menschheit aus ihren Fehlern nicht schlau wird, muss sich bloß in seiner Küche umsehen, wenn er mal wieder seinen Löffel unterm voll aufgedrehten Hahn gespült hat. Als ich kürzlich – einige Wochen vor Pegida – einen Kommentar unter den Facebook-Status eines ehemaligen Schulkameraden setzte, war ich mir im Klaren darüber, dass ich es bereuen würde, ihn mir nicht (wie so oft zuvor) verkniffen zu haben. Im wunderbaren #Neuland gibt es Dinge, die man besser besser sein lässt, wenn einem seine Zeit lieb und teuer ist: Man diskutiert nicht mit den geifernden Trollen im SPON-Forum, schon gar nicht über die Leistung der Nationalmannschaft oder Jogi Löw. Und: Man weist einen AfD-Wähler mit Hang zum Wutbürgertum nicht auf Inkonsistenzen in seinem Weltbild hin.

Schon seit Jahren habe ich mich im Stillen über seine Postings geärgert, die mit geradezu missionarischem Eifer und mächtig Wut im Bauch so ziemlich jedes Klischee aktueller rechtspopulistischer Strömungen aufgreifen, mit dem nicht nur hierzulande, sondern u.a. auch in Frankreich, Italien, Niederlande oder der Schweiz Stimmung gemacht wird. Das Tückische an Menschen wie Thilo Sarrazin oder den jüngsten Parteigründungen ist ja, dass sie sich zumeist im demokratischen Spektrum bewegen, aber trotzdem hauptsächlich Themen aufgreifen, mit denen sich am rechten Rand fischen lässt. Die AfD etwa ist nicht nur ein Auffangbecken für Euroskeptiker, die einer „alternativlosen“ Europapolitik den Rücken gekehrt haben, sondern eben auch für (antiamerikanische) Verschwörungstheoretiker, Putinversteher, Islamophobiker oder Rückwärtsgewandte, denen die gesellschaftlichen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte – gerne als „Gutmenschentum“ beschimpft – zuwider sind. Wie in allen populistischen Parteien begegnet man realen Ängsten und Sorgen mit undifferenziertem Schwarz-Weiß-Denken, komplizierten Problemen mit einfachen, nicht zu Ende gedachten Lösungen. Als Partei selbst ist die AfD wohl kaum gefährlich, zumal sie sich dank aufbrechender Machtkämpfe sowie der starken Heterogenität ihrer Mitglieder zunehmend selbst im Weg steht; mehr als eine empathielose und technokratische Politik lässt sich ihr (jedenfalls in der Spitze) kaum vorwerfen. Gefährlich ist allerdings sehr wohl das Welt- und Menschenbild, das auch in ihrem Umfeld unter dem Deckmantel des Das wird man ja wohl noch sagen dürfen gegenwärtig wieder salonfähig geworden ist.

Anlass für meinen Facebook-Kommentar war ein weiterer typischer Topos derjenigen, die sich ihre Wahrheit nicht länger von political correctness und bundesrepublikanischem Meinungsmainstream verbieten lassen wollen: die gute alte „Lügenpresse“ (einen tollen und unbedingt lesenswerten Artikel über die verräterische Wortherkunft gibt es übrigens hier). Mein ehemaliger Schulkamerad, der sich bereits des Öfteren über angebliche Medienmanipulationen und gekaufte Journalisten echauffiert hatte, wies abermals auf mediale Ungereimtheiten in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt hin – allerdings ausgerechnet auf Basis eines Artikels von Russia Today, Propagandamedium für ein Land, das derzeit Platz 148 auf der Rangliste der Pressefreiheit belegt.

Ich habe schon oft mit dem Gedanken gespielt, Stellung zu einer seiner Statusmeldungen zu beziehen – und es immer aus demselben Grund gelassen: Don’t feed the troll. Mit jemandem, der die Wahrheit bereits zu kennen glaubt (und der deshalb immer nur feste Meinungen, nie offene Diskurse verlinkt) lässt sich nicht diskutieren, sondern bestenfalls streiten. Diesmal konnte ich mir einen kurzen Seitenhieb jedoch nicht verkneifen, wohl wissend, dass mir dadurch eine stundenlange Diskussion drohte. Weil seine ohnehin schon recht fragwürdige Quelle gerade beim Thema Medienethik etwas, nun, ungünstig gewählt war, wies ich mit einem, wie ich fand, entwaffnenden Zwinkersmiley auf das psychologische Phänomen der kognitiven Dissonanz hin.

Meine naive Hoffnung, dass er meinen Kommentar vielleicht einfach ignorieren würde, blieb leider unerfüllt: Der Rest des Abends bestand aus einer endlosen und leider sehr sinnlosen PN-Debatte, bei der von Anfang an feststand, dass niemand von uns auch nur einen Jota von seiner Meinung abweichen würde. Außer der Tatsache, dass ich mehrmals um ein Ende der Diskussion bitten musste, möchte ich auf diese gar nicht en detail eingehen – wir haben sie schließlich ganz bewusst nicht öffentlich geführt.

Seit auf den Pegida-Märschen immer wieder von der „Lügenpresse“ die Rede ist, lässt mich das Thema jedoch nicht los. Wie offenbar viele andere glaubt mein ehemaliger Schulkamerad an eine manipulierte Presse und daran, die Wahrheit nur noch in abseitigen Nischenkanälen zu finden. Genau diesen Punkt empfinde ich allerdings am entlarvendsten: Wer Quellen lediglich danach beurteilt, ob sie ihn in seinen Ansichten bestärken und bestätigen, hat die Aufgabe von Journalismus nicht verstanden. Eine ausgewogene, objektive und sich selbst hinterfragende Berichterstattung, die differenziert, statt Meinungen vorzugeben, ist ein Ideal, das womöglich oft genug verfehlt wird – aber es ist und bleibt das, was Journalismus im besten Fall leisten soll. Hier schließt sich auch der Kreis zur kognitiven Dissonanz: Wenn das Stimmungsbild in den Medien deutlich von der subjektiven Wahrnehmung abweicht, schläft es sich vermutlich besser, wenn man den Feind an der Druckerpresse statt auf dem eigenen Kopfkissen wähnt.

Dass es mitunter tatsächlich Verfälschungen, schlechte Recherche und unangemessene Meinungsmache gibt, steht außer Frage. Gerade in der Ukraine-Berichterstattung sind den Öffentlich-Rechtlichen peinliche Fehler unterlaufen, auch RTL hat dem Ruf der Medien mit dem Undercover-Einsatz bei Pegida sicher keinen Gefallen getan. Überdies hat mich in den letzten Jahren immer wieder entsetzt, mit wie viel Schadenfreude und Schaum vor dem Mund die deutsche Medienlandschaft die vermeintlich Großen zu Fall bringt. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass die Selbstheilungskräfte der Vierten Gewalt – insbesondere im Internet – durchaus vital sind; etwa bei Stefan Niggemeier und seinem BILDblog, aber auch bei Zapp wird die eigene Zunft durchaus hart angegangen. Verfehlungen werden offen thematisiert und hinterfragt; dergleichen lässt sich wohl kaum in einer „lupenreinen Demokratie“ wie Russland beobachten.

Anlass zur Kritik geben regelmäßig auch die Selektionsmechanismen der Medien, die angeblich ungewünschten Stimmen abseits des politischen Mainstreams die Bühne verweigern. Zunächst einmal muss man kein Medienwissenschaftler sein, um zu wissen, dass in Anbetracht der immensen Informationsflut bestimmte Kriterien greifen müssen, um eine relevante Auswahl für die Nachrichtenberichterstattung zu treffen. Selbstverständlich bilden Leitmedien immer nur einen Ausschnitt des Weltgeschehens ab – und selbstverständlich gelingt es nicht immer, einen solchen stets ausgewogen und gerecht zu gestalten. In manchen Fällen spielt sicher auch ethische Verantwortung eine Rolle, etwa beim Thema Selbstmord. Aber wenn ich darüber nachdenke, wie oft ich mich etwa beim Zappen über Thilo Sarrazins kühlen High Noon-Blick erschrocken habe, empfinde ich obige Vorwürfe als haltlos. Dass es nicht jeder Hansel mit querer Meinung oder eckigem Bart mit O-Ton in die Tagesthemen schafft, hat einen äußerst simplen Grund: Wer nur für eine Minderheit spricht, aber am lautesten von allen schreit, hat deswegen noch lange nicht die größte Bühne verdient. Allerdings gebe ich den Vorwurf der bevormundenden, einseitigen Informationsselektion gerne zurück: Wer ständig über reale und durchaus ernstzunehmende Probleme wie Ausländerkriminalität spricht, aber nicht einmal über das tägliche, jüngst immer grausamere Sterben auf dem Mittelmeer, zeigt ebenfalls nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit. Und ja: Dieser Ausschnitt sagt eine Menge über das Welt- und Menschenbild desjenigen aus, der selektiert.

In einer Demokratie und einer freien Presse muss man andere Meinungen aushalten, selbst wenn man sie für falsch und gelegentlich sogar gefährlich hält. Meinen Bekannten aus der Schulzeit habe ich bei Facebook weder gelöscht noch ausgeblendet; ich muss und möchte ganz sicher nicht mehr mit ihm diskutieren, halte Scheuklappen angesichts wachsender Bewegungen wie Pegida aber für riskant und falsch. Es ist ein sehr ernstes Problem für Politik und Gesellschaft, wenn sich immer mehr Menschen nicht angemessen vertreten, immer mehr Menschen unverstanden fühlen. Diese Frustration spiegelt sich sowohl in Wahlergebnissen als auch in den jüngsten Bewegungen wider.

An dieser Stelle spanne ich den Bogen noch einmal zurück zum Anfang. Manche Fehler begehen wir immer wieder aufs Neue und scheinen einfach nicht aus ihnen zu lernen (Stichwort: Löffel unter Wasserhahn). Und trotzdem fassen wir in unserem Leben wahrscheinlich nur ein einziges Mal auf eine heiße Herdplatte. Wenn es weh genug tat, sind wir offensichtlich doch zur Einsicht imstande. Seit einigen Tagen kann meine Tochter laufen – und hört von mir nun ständig ein sehr lautes und entschiedenes NEIN. Als liebender Vater möchte ich mein zuweilen recht unreflektiertes Mädchen vor den Gefahren im Haushalt schützen (zugegeben: manchmal auch meinen Haushalt vor ihr), selbst, wenn sie letztendlich ihre eigenen Erfahrungen machen muss. Der Punkt aber ist: Wenn es wirklich gefährlich wird, muss man eine klare Grenze setzen.

Wenn ich nun sehe, wie bei Pegida & Co. frustrierte Bürger gemeinsam mit Hooligans und Neonazis unser Abendland verteidigen wollen, komme ich zu demselben Schluss: Gerade in Deutschland ist es jetzt an der Zeit für ein lautes und entschiedenes NEIN. Einer Bewegung, deren Initiatoren sich statt auf Zahlen und Fakten auf ihren subjektiven Eindruck – ihr Gefühl! – berufen, ist mit Argumenten nicht beizukommen. Als Politikwissenschaftler habe ich das politische Geschehen bislang meist aus einer angenehmen, kritischen Distanz betrachtet und versucht, mich nicht zu allzu klaren Meinungen hinreißen zu lassen; ich halte weder etwas von blindem Dogmatismus noch von überholter Blockbildung und empfinde alle „Mainstream“-Parteien als wähl- und koalierbar (auf Länderebene mit sehr viel gutem Willen und etwas Phantasie vielleicht sogar Die Linke). Aber was in Dresden und anderswo auf den Straßen geschieht, hat in mir ein unerwartetes Sendungsbewusstsein ausgelöst: Es ist ein Fehler, die anderen lauter sein zu lassen. Pegida ist ein verdammt guter Grund, um endlich einmal Haltung zu zeigen.

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Die Deutlichkeit, mit der dieser Bewegung öffentlich Einhalt geboten wird, hat mich positiv überrascht. Selbst Angela Merkel – sonst ja durchaus für rhetorische Schwammigkeit bekannt – distanziert sich von der Strategie ihrer Schwesterpartei und fand in ihrer Neujahrsansprache klare Worte gegen Pegida. Aber besonders die Unterhaltsamkeit der Abgrenzung – von anderen oft kritisiert – empfinde ich in Anbetracht dieser Bewegung als angemessen. Manchmal ist Humor entwaffnender und entlarvender als jedes Argument. Anders als etwa Harald Schmidt, bei dem sich alles in ironischer Brechung erschöpfte, wagen seine Nachfolger im Geiste – allen voran Jan Böhmermann -, Haltung zu zeigen und deutlich Stellung zu beziehen, ohne mit dem erhobenen Zeigefinger des Kabaretts zu langweilen. In den USA macht Late Night Talker Jon Stewart bereits seit Jahren vor, wie man auch oder vielleicht gerade als Satiriker eine Stimme der Vernunft sein kann; 2010 hat Stewart zum Beispiel eine gewaltige Demonstration gegen den durchaus mit Pegida vergleichbaren Irrsinn der Tea Party-Bewegung angeführt.

Selbstverständlich sollten die Sorgen dieser Menschen ernst genommen werden; doch wer sich allen Argumenten verschließt und den Dialog mit der „Lügenpresse“ kategorisch ausschließt, darf und muss sogar der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Mit #schneegida & Co wird etwas sehr, sehr Wichtiges erreicht: Wir sind lauter als die. Die sind nicht das Volk, sondern bloß eine frustrierte, lautstarke Minderheit. Wir sind mehr. Und lustiger.

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Manchmal weiß man schon vorher, wie eine Sache ausgeht. Dass ich im Zuge eines ironischen Facebook-Kommentars plötzlich ein ungeahntes Sendungsbewusstsein entwickele und nicht nur bei Twitter, sondern auch auf meinem Blog gegen Pegida schreibe, war für mich durchaus überraschend, genauso wie die entschiedene Reaktion so vieler anderer in den Sozialen Medien. Vielleicht werden wir Menschen ja doch manchmal aus unseren Fehlern schlau, zumindest, wenn es weh genug tat. Und das tat es doch, oder, Dresden?

P.S.: Auch ich werde aus meinen Fehlern schlau und weigere mich, im Zuge dieses Artikels Diskussionen zu führen, in denen kein Platz für Reflexion und Einsicht ist. In der Zeit, die ich mit sinnlosem Streit verschwenden würde, verlöre meine Flitzpiepe von Tochter vermutlich sonst drei ihrer acht hart erkämpften Zähne. Manchmal muss man im Leben Haltung zeigen. Und manchmal Prioritäten setzen.

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