Postmoderne

Besorgter als Bono: Über Dave Eggers Entwicklung als Autor und sein gesellschaftliches Engagement

Eines vorweg: Ich werde gar nicht erst versuchen, auf meinem Blog mit anderen Buchbloggern um die neuesten und besten Rezensionen zu konkurrieren – das wäre von an Anfang an zum Scheitern verurteilt. Ich ziehe meinen Hut vor dem Leseeifer anderer Blogger, die im Jahr vermutlich genügend Bücher schaffen, um mit den Stapeln in ihren Wohnzimmern die Skyline von New York nachzubauen. Ich käme da wahrscheinlich bestenfalls auf Wuppertal, als Leser gleiche ich nämlich eher einem Quartalssäufer. Manchmal lese ich monatelang nichts – vor allem, wenn ich gerade selber schreibe -, dann aber gleich wieder sechs Romane am Stück. Weil ich jedoch immer weniger lese, als ich eigentlich möchte, macht mir der Stapel ungelesener Bücher auf meinem Regal stets ein schlechtes Gewissen. Allerdings gibt es eine Handvoll Autoren, die mir aus unterschiedlichen Gründen so viel bedeuten, dass ich deren neuesten Veröffentlichungen immer sofort lesen muss. Einer von ihnen, Dave Eggers, war im letzten Jahr wegen seines Romans The Circle in aller Munde; sein hierzulande erfolgreichster Roman ist ein relevanter und durchaus wichtiger Kommentar zur social media-Gesellschaft, aber sicher nicht Eggers beste Arbeit. Warum mich seine anderen Romane mehr überzeugt haben und inwiefern er mich vor allem über sein Schreiben hinaus inspiriert hat, möchte ich darum anhand einer ausführlichen Werkschau begründen.

Die Dringlichkeit eines Idealisten

Als sein Debüt 2001 in Deutschland herauskam, bin ich gleich auf Dave Eggers hereingefallen. Der Titel seines großteils autobiographischen Romans – Ein herzzerreißendes Werk von umwerfender Genialität – war so ironisch wie brillant, entsprach allerdings nur der halben Wahrheit: Die Geschichte, wie Eggers mit 22 seinen achtjährigen Bruder Toph großziehen muss, weil ihre Eltern innerhalb weniger Wochen verstorben sind, ist tatsächlich herzzerreißend. Genial ist das Buch aber nur zu Anfang. Das Spiel mit der Metaebene und den postmodernen Brechungen im langen Vorwort hat mir, weil ich z.B. David Foster Wallace damals noch nicht kannte, ganz neue, aufregende Möglichkeiten von Literatur aufgezeigt; in diesem hat Eggers allerdings auch schon vorweggenommen, dass das Buch ab Seite 135 „irgendwie unausgewogen“ sei – leider zurecht. Das erste Drittel des Romans begeistert noch mit emotionaler Wucht: Hilflosigkeit und Schmerz sind genauso unmittelbar wie der trotzige, unbedingte Willen zum Leben, den die Familientragödie bei Eggers ausgelöst hat. Wider allem Leid strotzt sein Debüt nur so von Komik und Lebenslust. Im weiteren Verlauf der Handlung blitzen zwar immer wieder geniale Momente auf, doch leider mangelt es ihr zunehmend an Stringenz; immer öfter verliert sich der Roman in Nebenschauplätzen und fasert aus. Dennoch blieb für mich der Eindruck, hier auf eine aufregende neue Stimme der amerikanischen Gegenwartsliteratur gestoßen zu sein.

Eggers erster fiktionaler Roman Ihr werdet (noch) merken, wie schnell wir sind – eines meiner absoluten Lieblingsbücher – setzt sich praktisch aus denselben Zutaten wie sein Debüt zusammen, schafft es zugleich aber auch, eine spannende und mitreißende Geschichte zu erzählen. Wieder einmal ist es der Tod, der die Ereignisse in Gang setzt: Um den Verlust ihres besten Freundes zu verarbeiten, brechen Will und Hand zu einer fünftägigen, planlosen Weltreise auf und versuchen auf dieser, so viel Geld wie möglich zu verschenken – was zu allerhand skurrilen und abenteuerlichen Situationen führt. Trotz allen Humors bleibt der Leidensdruck der Protagonisten immer erkennbar. Als Leser spürt man eine permanente Dringlicheit, die sich auch in der Gestaltung der deutschen Erstausgabe spiegelt: Die Handlung setzt bereits auf dem Cover ein und lässt keinen Platz für editorische Hinweise. Es besteht kein Zweifel: Diese Figuren haben keine Zeit zu verlieren. Dieselbe Dringlichkeit spürt man auch beim Autor: Da ist einer, der muss etwas erzählen; diese Geschichte, dieses Thema muss aus ihm heraus.  (mehr …)

Wie man David Foster Wallace übersetzt: Ulrich Blumenbach im Gespräch

TP2_coverDer Start meines Blogs ist eine gute Gelegenheit, mal einen kleinen „Klassiker“ aus unserer Zeitschrift auszugraben: Vor drei Jahren durfte ich mich für die zweite Ausgabe von ]trash[pool ausführlich mit dem literarischen Übersetzer Ulrich Blumenbach über seine (großartige!) Arbeit an den Romanen von David Foster Wallace unterhalten. Blumenbach hat u.a. Romane von Agatha Christie, Stephen Fry, Nick Hornby, Jack Kerouac und Arthur Miller ins Deutsche gebracht und ist für seine Arbeit an Wallace‘ Roman „Infinite Jest“ (dt. „Unendlicher Spaß“) mit dem Übersetzerpreis der Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Stiftung 2009 und dem Übersetzerpreis der Leipziger Buchmesse 2010 ausgezeichnet worden. Bei unserem Gespräch im Mai 2011 hatte er gerade erst die Arbeit an Wallace‘ Nachlassroman „The Pale King“ (dt. „Der bleiche König), der Ende 2013 bei Kiepenheuer & Witsch erschien, aufgenommen. Das Interview ist also nicht brandaktuell, aber, wie ich finde, so interessant, dass es nicht in den Archiven unserer Zeitschrift versauern sollte. Ulrich Blumenbach war nicht nur ein sympathischer und geistreicher Gesprächspartner, sondern sprach auch genauso druckreif, wie sich seine Worte lesen lassen – eine Fähigkeit, die man auch David Foster Wallace stets attestiert hat.


Unsere Zeitschrift trägt ja den Namen „]trash[pool“. In der Dankesrede einer Preisverleihung sagten Sie einmal, Sie kämen sich aufgrund der massenmedialen Sprachverhunzung manchmal vor wie im Todesstern-Müllschlucker des ersten Star Wars-Filmes – mit Wittgenstein gesprochen, kämen von allen Seiten die Wände Ihrer Sprache und damit auch die Grenzen Ihrer Welt auf Sie zu. Was macht die Sprache von David Foster Wallace so besonders, dass er – wie Sie sagten – eine Supernova inmitten dieser Schrottpresse zünden konnte?

Wallace weitet die Sprache einfach ganz ungeheuer aus. Er benutzt ein größeres Vokabular als die meisten Gegenwartsliteraten, versucht aber auch, die Möglichkeiten des Satzbaus zu erweitern, indem er komplexere Perioden schreibt als sie üblich sind. Die Stoffe sind in dieser Hinsicht egal – es geht erst einmal um Vokabular und Syntax, wo Wallace versucht, reichhaltiger, komplexer und weitschweifender zu schreiben als in der sonstigen Gegenwartsliteratur.

In „]trash[pool“ erscheinen neben etablierten Autoren vor allem junge Nachwuchsschriftsteller. Was kann die deutsche Literatur von David Foster Wallace lernen?

Vor allem seine Welthaltigkeit. Was mich an deutscher Literatur tatsächlich oft nervt, ist, dass sie sich manchmal zu sehr mit sich selbst beschäftigt, zu sehr literarisch-philosophische Nabelschau betreibt. Wallace hat in seinen Werken dagegen versucht, ein Maximum an Welt durch sich hindurchströmen zu lassen und dann im Werk transformiert wieder von sich zu geben. Dieses Mehr an Welthaltigkeit zeichnet aber nicht nur Wallace per se aus, sondern trifft überhaupt sehr stark auf die amerikanische Gegenwartsliteratur zu, die bereit ist, nicht snobistisch auf Populärkultur herabzusehen, sondern diese als einen selbstverständlichen Bestandteil unseres Alltags, unserer Welt aufzunehmen und deswegen auch für literaturfähig zu halten. Das ist jetzt keine Generalverdammung der deutschen Literatur – natürlich gibt es auch hier ganz wunderbare Autoren, die das machen. Dennoch glaube ich, dass das einer der entscheidenden Unterschiede zwischen amerikanischer und deutscher Prosa ist.  (mehr …)