Eine Leerstelle der Geschichte. Über „Dunkelblum“ von Eva Menasse

172879_1-0d4b0975Ein Buch, das zu Recht als Meisterwerk gefeiert wird: In ihrem dritten Roman „Dunkelblum“ entfaltet Eva Menasse das Panorama eines österreichischen Dorfes, das von seinen totgeschwiegenen Kriegsverbrechen eingeholt wird – und schafft es, dabei auch noch blendend zu unterhalten.

Mehr als 40 Jahre blieb das kleine österreichische Städtchen Dunkelblum von der Geschichte weitestgehend unberührt. Das Leben ging eben weiter nach dem großen Krieg, an den inzwischen nur noch die Ruine des abgebrannten Adelsschlosses erinnert. Denn die Kontinuität ist groß, wie sie es nur im Mikrokosmos der Provinz sein kann: Dieselben Familien, die einander teils feindselig gegenüberstanden, prägen noch immer das Dorfgeschehen. So gilt ein ehemaliger Nazi-Karrierist inzwischen längst als angesehener Bürger, und selbst das einst prächtige Hotel Tüffer trägt noch denselben Namen, obwohl deren jüdischen Besitzer damals vertrieben wurden. Man hat sich halt arrangiert – und zwar nicht nur miteinander, sondern auch mit den dunkelsten Kapiteln der Ortsgeschichte, über die niemand mehr zu sprechen wagt.

Doch im Spätsommer 1989 kehrt plötzlich Unruhe ins kleine Städtchen ein. Während an der nahegelegenen ungarischen Grenze hunderte Geflüchtete aus der DDR darauf warten, dass Geschichte geschrieben wird, werden die alteingesessenen Bürger Dunkelblums ungewollt an die klaffende Leerstelle in ihrer eigenen erinnert – und das an gleich mehreren Fronten auf einmal. Ein vermeintlich Fremder zieht im Hotel Tüffer ein und fängt an, unbequeme Frage zu stellen. Studierende kommen aus der Hauptstadt, um den verwahrlosten jüdischen Friedhof zu restaurieren. Ein Außenseiter und die jüngste Tochter einer allseits beneideten Weinbauerfamilie tun sich mit dem Ziel zusammen, eine ungeschönte Dorfchronik für ein Heimatmuseum zu schreiben. Und als wäre all das für die verschwiegenen Dorfbewohner nicht genug, wird auf einem Feld auch noch eine Leiche entdeckt, die die Aufmerksamkeit des ganzen Landes aufs beschauliche Dunkelblum lenkt – und auf die Frage, was wirklich in jener Nacht kurz vor Kriegsende geschah. Damals, als das Schloss der Gräfin nach einem rauschenden Fest in Flammen aufging und hunderte Zwangsarbeiter erschossen wurden, ohne dass ein Großteil der Täter oder je ein Grab gefunden wurden. Spätestens als die ersten anonymen Drohbriefe auftauchen und die Weinbauerstochter spurlos verschwindet, ist es vorbei mit der Ruhe, die die Dunkelblumer jahrzehntelang zusammengeschweißt hat.

Etliche solcher Massaker sind in der Region historisch belegt

Mit ihrem dritten Roman Dunkelblum wagt sich die vielfach preisgekrönte Autorin Eva Menasse an eines der dunkelsten Kapitel Österreichs, das auf einer wahren Begebenheit beruht. Ähnlich wie im fiktiven Ort Dunkelblum wurden während eines Festes im Schloss Rechnitz im Burgenland fast 200 Juden ermordet – und das ist nur ein Massaker von vielen, die in dieser Region allein in der Zeit kurz vor Kriegsende dokumentiert sind. Doch trotz der erdrückenden Schwere ihres Sujets ist Menasse mit Dunkelblum etwas ganz Außergewöhnliches gelungen: Das mit Austriazismen gespickte Panorama aus den wechselnden Perspektiven der Dorfbewohner liest sich dank Menasses mal süffisanten, mal tiefschwarzen Humors und der ambivalenten, lebensnahen Charaktere so unterhaltsam, dass man Dunkelblum als LeserIn am Ende beinahe schweren Herzens verlässt. Die Orte und Figuren sind einem so vertraut geworden, dass man in der Bar des Hotel Tüffers problemlos am Stammtisch Platz nehmen könnte. Man weiß ja inzwischen, welche Themen man dort lieber nicht anspricht und von wem man sich besser fernhalten sollte.

Die gebürtige Österreicherin Eva Menasse selbst lebt inzwischen in Berlin. Nach der Lektüre ihres emphatischen, aber auch unbarmherzigen Blickes auf ihre Heimat in Dunkelblum ahnt man, warum sie sich dort wohler fühlt.

Eva Menasse: Dunkelblum. 528 Seiten, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch und als Lizenzausgabe bei der Büchergilde. Diese Besprechung erschien bereits als Beitrag im aktuellen Magazin der Büchergilde.

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