Gleich 29 Verstorbene lässt Robert Seethaler in seinem Roman „Das Feld“ zurück auf ihr Leben blicken und verknüpft ihre Geschichten zu einem bewegenden Kleinstadtporträt. Ein Roman so vielfältig, traurig und schön wie das Leben selbst.
Die letzten Worte eines Menschen: Da denkt man an Pathos und Reue, an finalen Erkenntnisgewinn und überhöhte Einsichten in das, was im Leben wirklich zählt. Man denkt an moralische Belehrungen, an Kitsch. Und an Autoren, die aus diesem Stoff einen esoterischen Roman voller spontan mit Weisheit gesegneter Besserwisser gemacht hätten. Nicht so Robert Seethaler. Die toten Paulstädter, die er in Das Feld zu Wort kommen lässt, wissen es nicht besser. Anstatt von einer höheren Warte aus zu erzählen, bleiben sie auch zwei Meter unter der Erde noch immer, wer sie zu Lebzeiten waren. Die alltäglichen Kämpfe haben sie zwar hinter sich gelassen, auch scheinen alle ihren Frieden mit dem Tod gemacht zu haben, weiser ist allerdings keiner von ihnen geworden. Weder hat der korrupte Bürgermeister aus seinen Fehlern gelernt, noch bereut der Bauer mit dem schlechten Boden die lebenslange Vergeblichkeit seines Tuns. Ein Vater gibt seinem Sohn Ratschläge aus dem Jenseits, die kaum über Renovierungstipps hinausgehen, eine alte Frau blickt auf ihre 67 Liebhaber zurück, während eine andere für ihre Mitbürger bloß noch ein einziges Wort übrig hat: „Idioten“.
Selbstgespräche auf dem Friedhof
29 zumeist einfache Menschen, darunter Alte wie Kinder, Einfältige wie Kluge, Zufriedene wie Ruhelose lässt Robert Seethaler in Das Feld nach ihrem Tod sprechen. Doch die wenigsten wenden sich an die Lebenden. Vielmehr führen sie Selbstgespräche, sie klammern sich zwar nicht an ihr Leben, sehr wohl aber an das, was es einmal ausmachte. Manche erinnern sich ans Sterben, andere ziehen Bilanz, die meisten aber bleiben wenigen Augenblicken verhaftet, die sie in besonders intensiver Erinnerung behielten – und sei es bloß ein unbeschwerter Tag in ihrer Kindheit. Jeder erzählt von dem, was er in seinem Leben als besonders wichtig oder prägend empfand. Von einem Gefühl, einem Moment, einer Person.
„Ein Sonntag ohne dich war nicht vollständig. Dich lieben, dann neben dir liegen, im Bett, im Gras, im Schnee. Das war alles.“
Die kurzen Episoden sind nur lose miteinander verknüpft und auch nicht chronologisch geordnet, und doch vermitteln sie, je mehr Menschen man aus Paulstadt kennenlernt, ein immer präziseres Bild vom Leben in diesem Ort. Irgendwann glaubt man sie zu kennen, die Paulstädter, man nimmt Teil an ihrem Alltag und kennt die Gerüchte und Geschichten, die sie sich erzählen, die kleinen und großen Katastrophen, die Beziehungen untereinander. Man nickt wissend, wenn von Pfarrer Hoberg und seiner brennenden Kirche oder dem eingestürzten Einkaufszentrum die Rede ist, von den Verlierern abends am Tresen im Goldenen Mond oder dem Kind im Sumpf. Indem Robert Seethaler aus den Leben dieser Menschen erzählt, erzählt er zugleich vom Leben in ihrer Stadt. Das Feld ist kein Porträt von 29 Verstorbenen. Es ist das Porträt einer ganzen Gemeinde, ein Heimatroman – umso wehmütiger stimmt dann auch der Abschied aus Paulstadt nach der letzten Seite. Schließlich hatte man sich hier gerade erst eingelebt.
Robert Seethaler: Das Feld. Erschienen bei Hanser Berlin und als Lizenzausgabe bei der Büchergilde, 240 Seiten. Diese Rezension erschien zuerst im Magazin der Büchergilde 1/2019 – erhältlich auch als kostenloses PDF zum Download.