Kokain

Außer Funktion. Über „Super, und dir?“ von Kathrin Weßling

Kathrin Weßling - Super, und dir?Ein Roman über eine Social Media Managerin mit Burn-out und Drogenproblemen: Wenn sich jemand in eine solche Figur hineinversetzen kann, dann vermutlich Kathrin Weßling, eine Autorin, die mir beinahe täglich in meinen Feeds auf Facebook, Twitter oder Instagram begegnet. Ich mag ihren Ton, ihren Humor, ihre Haltung. Auch beeindruckt mich, wie souverän und offen sie auf ihrem Blog über ihre Depressionen und ADHS-Erkrankung schreibt, Bewusstsein für sie schafft. Einen Roman von ihr hatte ich bislang dennoch nicht gelesen, vielleicht auch ein bisschen aus Furcht davor, enttäuscht zu werden. Ein Roman ist kein Bento-Artikel, zumal mir die Themen, über die Weßling schreibt, zu wichtig, zu ernst sind, um sie bloß in einer unterhaltsamen, zielgruppengerechten Geschichte mit launigem Witz verpackt zu sehen. So ging es mir damals mit Ronja von Rönnes Roman Wir kommen, dem es mir trotz Biss und toller Sprache an Tiefe und emotionaler Aufrichtigkeit fehlte; zu aufgesetzt und oberflächlich wirkten die Panikattacken und Depressionen der permanent ironischen Hauptfigur Nora, als dass sie der Schwere dieser Erkrankungen gerecht werden konnten.

Die Wahrheit hinter dem Feed

Entsprechend gespannt war ich auf Marlene Beckmann, Kathrin Weßlings Ich-Erzählerin in Super, und dir?. Eigentlich könnte sie zufrieden sein: Dank Traumjob in einer angesagten Firma und glücklicher Beziehung läuft in ihrem Leben schließlich alles bestens, zumindest ist es das, was ihre vielen Facebook-Freunde und Follower tagtäglich zu sehen bekommen. Die Wahrheit hinter dem Feed ist jedoch eine andere: Schon nach wenigen Monaten als Social Media Managerin ist Marlene ausgebrannt und kann ihren Alltag nur noch mit Kokain und anderen Aufputschdrogen bewältigen. Sie schläft und isst zu wenig, vernachlässigt ihre Gesundheit und ihre Beziehung, während sich die Arbeit immer tiefer in ihr Leben frisst und darin Metastasen bildet wie ein besonders aggressiver Krebs. Marlene aber funktioniert einfach weiter. Das hat sie immer getan. Sie funktionierte, als ihr Vater die Familie für eine andere Frau verließ, funktionierte, als ihre Mutter deswegen zur Alkoholikerin wurde und plötzlich auf sie angewiesen war. Marlene hat nie gelernt, Schwäche zu zeigen und um Hilfe zu bitten, sie konnte sich das auch gar nicht erlauben. Und das kann sie auch jetzt nicht: In ihrem Job muss sie sich einbringen, bis nichts mehr von ihr übrig ist.

Denn in Wahrheit ist gar nicht sie das Problem, sondern eine Mentalität, die vor allem in aufstrebenden Start-ups herrscht, in Unternehmen, die eher mit ihrem Image als mit angemessener Bezahlung locken und die mit Engagement und Firmenidentifikation eigentlich Selbstausbeutung meinen. Wer braucht schon ein Privatleben, wenn es einen Kickertisch im Büro gibt? Und die ach so flexiblen Arbeitszeiten: bedeuten vor allem, rund um die Uhr verfügbar zu sein. Aber Marlene ist ehrgeizig, sie will nach ihrem Volontariat unbedingt übernommen werden und identifiziert sich bald so sehr mit ihrer eigentlich belanglosen Arbeit, dass ihr Verhältnis zur Firma beinahe ans Stockholm-Syndrom grenzt. Ohne Rausch kann sie nicht mehr abschalten. Oder wieder auf die Beine kommen. Ihr Freund Jakob hat keine Ahnung von ihren Suchtproblemen, schließlich bekommt er Marlene kaum noch zu Gesicht – und wenn, dann vermutlich mit dem Handy vor der Nase. Dennoch ist er der einzige, der zumindest noch gelegentlich zu ihr durchdringt und hinter die scheinbar glücklichen Fassade sieht, die sie auf ihren Online-Profilen zur Schau stellt. Für einen Rettungsanker sind Marlenes Segel jedoch längst zu überspannt: Als Jakob aufgrund ihrer falschen Prioritäten alleine in den Urlaub fahren muss, verliert Marlene ihren letzten Halt – und hört von einem Tag auf den anderen einfach auf, zu funktionieren.

Verstörend und mutig

Nach den ersten Seiten von Super, und dir? war ich zunächst ernüchtert, fand die Sprache zwar gut und pointiert, die Ich-Erzählerin aber noch zu nahe am Ton einer schnoddrigen und um Authentizität bemühten Neon-Reportage: Darf ruhig ein bisschen edgy sein, aber bitte nicht zu sehr – man denke an die Zielgruppe, vor allem beim erwartbaren Happy End. Durchaus amüsante Lektüre, dachte ich also, aber ganz sicher kein Panikherz. Aber je tiefer Kathrin Weßling die Abgründe ihrer Figur auslotet, desto mehr kaufte ich ihr die Protagonistin ab, kaufte ihr ab, dass es ihr ernst ist mit diesem Roman und seinen Themen. Tatsächlich ist es verstörend und mutig, mit welcher Konsequenz Weßling Marlene Beckmann ihr Leben an die Wand fahren lässt und dabei nicht nur mit einer zunehmend ausbeuterischen Mentalität in der Arbeitswelt abrechnet, sondern auch mit der Verharmlosung eines Selbstoptimierungswahns, der nicht selten zu Suchtproblemen unterhalb der gesellschaftlichen Wahrnehmungsgrenze führt. Als sich Marlene in einer der bittersten Szenen des Romans dazu überwindet, sich ihrem Hausarzt anzuvertrauen, spielt ausgerechnet dieser ihre Kokainsucht herunter und verschreibt ihr lediglich ein Antidepressivum: Sie sei schließlich nicht ernsthaft süchtig, sondern bloß ein bisschen überlastet.

Und natürlich hat er Recht. Schaut uns doch an: Wir sind glücklich! Seht sie euch an, die Bilder unserer Katzen, Kinder und Traumreisen auf Instagram, lest unsere permanenten Erfolgsmeldungen auf Facebook und amüsanten Alltagstweets. Oder aber ihr lest dieses Buch. Es könnte allerdings Spuren von echtem Leben enthalten, Vorsicht.

„Das Mädchen liegt nicht halbtot mit einer Nadel im Arm auf der Toilette eines Bahnhofs. Man sieht nicht, wie das Mädchen ertrinkt, ganz im Gegenteil. Es reitet die Wellen, während der Sturm aufzieht, und es lächelt, es winkt den anderen zu, schon viel zu weit vom Strand entfernt, Wasser in den Lungen, Wasser im Kopf, und ruft: Alles in Ordnung, es geht mir sehr, sehr gut!“


Kathrin Weßling: Super, und dir? Erschienen bei Ullstein fünf, 256 Seiten. Die bislang beste Rezension zum Roman habe ich bei Literaturen gelesen, diese lest ihr hier.

„He is full of despair.“ Über Benjamin von Stuckrad-Barres „Panikherz“

stuckiDamals in den Neunzigern war Benjamin von Stuckrad-Barre meine erste Lesung – und hat mich für alle darauffolgenden ein bisschen versaut: was für eine Show! Sein Debüt Soloalbum fand ich zwar amüsant, aber zu stark an die Bücher von Nick Hornby & Co angelehnt – stereotypische Popliteratur ohne großen Mehrwert. Auf der Bühne riss Stuckrad-Barre dagegen ein Feuerwerk ab: eine absolute Rampensau, schnell wie Schmidt und unberechenbar wie Kaufman. Das war keine Lesung, sondern Rock’n Roll! Trotzdem wusste ich nicht, was mich erwarten würde, als ich ihn im April 2016 im Theaterhaus Stuttgart zum zweiten Mal sah. Zwischen beiden Lesungen lagen fast zwanzig Jahre und soviel Rock’n Roll, dass es an ein Wunder grenzt, diesen Mann wieder live auf der Bühne zu sehen. Nach der Lektüre von Panikherz sah ich ihn plötzlich mit anderen Augen: Mit derselben gnadenlosen Scharfsicht, mit der er andere in seinen Texten seziert, schreibt Stuckrad-Barre in seiner Autobiografie über seinen Absturz in Kokainsucht und Bulimie. Verstörend offen, aber nicht ohne Humor erzählt Panikherz vom Wahnsinn seiner verlorenen Jahre und der späten Rettung in den zweiten Akt seines Lebens – die er zum Teil ausgerechnet seinem Kindheitsidol Udo Lindenberg zu verdanken hat.

Wie lässt sich ein so erschütterndes, manchmal gar demütiges Buch mit der öffentlichen Person, der Rampensau Stuckrad-Barre, vereinbaren? Die Antwort ließ auf der Lesung nicht lange auf sich warten: gar nicht. „Stuckiman“ bot im Theaterhaus genau das, was man von ihm auf der Bühne erwartet – ein Comedyprogramm für Menschen, die Comedyprogramme hassen, irgendwo zwischen Latenight und Personality Show. Aus Panikherz las er vornehmlich die lustigen Passagen, in Erinnerung blieben aber vor allem Showeinlagen wie der T-Shirttausch mit einem RTL-Redakteur und sein Crowdsurfing über die Ränge. Benjamin von Stuckrad-Barre hat das Publikum, mich eingerechnet, an diesem Abend bestens unterhalten – seinem Buch wurde er dabei allerdings nicht gerecht.

Keine Frage: Oft liest sich „Panikherz“ wie ein typischer Stuckrad-Barre und ist dank gewohnt präziser Beobachtungen so selbstgerecht wie witzig. Wie er sich nach der behüteten Kindheit in einer Pastorenfamilie und seiner Schulzeit als Loser fintenreich und hakenschlagend zum Shooting Star der Popliteratur mausert, ist klassischer Coming of Age-Stoff und durchaus unterhaltsam; in seinen stärksten Momenten ist Panikherz aber ein düsteres und hartes Buch. Wenn Stuckrad-Barre über seine körperliche, auch geistige Verwahrlosung durch Bulimie und Kokainsucht schreibt, über seine Entzüge und Abstürze, sein Leben in vermüllten Wohnungen und Hotelzimmern, ist seine Autobiografie so schonungslos ehrlich, dass es weh tut. (mehr …)