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Im Livestream und vor Ort in Stuttgart: Didi Drobna liest aus „Was bei uns bleibt“

Wirlphoto_Drobna_20210815_WEB-17Als wäre sie einfach aus der Geschichte getilgt worden: Nicht einmal eine Gedenktafel erinnert heute noch an die unterirdisch im Wald versteckte Munitionsfabrik im österreichischen Hirtenberg, in der Didi Drobnas Protagonistin Klara 1944 freiwillig den Dienst antritt. Zusammen mit hunderten anderer Frauen setzt sie dort bis kurz vor Kriegsende tagein, tagaus abertausende Zündkapseln für die Front zusammen – eine harte Arbeit, die Klara aber durchaus mit Stolz erfüllt. Das ändert sich erst, als gleich neben der Fabrik eine Außenstelle des Konzentrationslagers Mauthausen errichtet wird. Den Arbeiterinnen werden nun Frauen aus dem KZ zugeteilt, mit denen – unter strenger, brutaler Aufsicht der SS – das gewaltige Pensum noch einmal drastisch erhöht werden soll. Dabei entstehen nicht nur Freundschaften, sondern erstmals auch Zweifel: am Endsieg, an den Klara und ihre Freundinnen lange glaubten. Vor allem aber daran, ob sie auf der richtigen Seite gestanden haben.

Lange hat Klara über die Jahre in Hirtenberg und ihre traumatischen Erlebnisse kurz vor Kriegsende geschwiegen. Nun aber, kurz vor ihrem Tod, kann die alte Frau ihre Erinnerungen nicht länger verdrängen. Bald hat sie keine andere Wahl mehr: Sie muss ihrem Enkel und Ziehsohn Luis erzählen, was damals geschah – und damit Licht auf ein fast vergessenes Kapitel der österreichischen Geschichte werfen.

Die österreichische Autorin Didi Drobna (Foto: Barbara Wirl) hat für ihren dritten Roman Was bei uns bleibt akribisch recherchiert, unter anderem sprach sie mit Zeitzeug*innen und suchte selbst im Hirtenberger Wald nach den Überresten der damaligen Fabrik. Es sind gerade die kleinen Details und lebendigen Eindrücke aus Klaras Arbeitsalltag, die Drobnas Roman so eindringlich und greifbar machen. Aber auch die Gegenwartskapitel um Klara als alte Frau sind weit mehr als bloße Rahmenhandlung: In ihnen spürt Drobna so subtil wie emphatisch den seelischen Verwüstungen des Krieges nach, die auch Generationen später noch Narben schlagen können.

Morgen Abend liest Didi Drobna um 19:30 in der Stuttgarter Stadtbibliothek aus „Was bei uns bleibt“ und wird darüber hinaus von ihren aufwändigen Recherchen zum Roman erzählen – und ich freue mich schon sehr darauf, den Abend moderieren zu dürfen. Weil wir zuhause gerade leider an diesem obskuren Familiendurchseuchungsprogramm der Bundesregierung teilnehmen müssen, werde ich selbst allerdings nur via Zoom zugeschaltet sein. Umso mehr hoffe ich auf viele Besucher*innen in der schönen Stadtbibliothek – blöd genug schließlich, dass Didi alleine auf der Bühne sitzen muss. Allen, die wie ich nicht vor Ort sein können, lege ich dagegen den Stream ans Herz: um 19:30 live auf YouTube!

Fake News #4

Bildschirmfoto 2020-06-23 um 21.39.26Inzwischen ist mein letzter Auftritt vor Publikum – ganz kurz vor dem Lockdown – mehr als drei Monate her. Fünf Lesungen aus Fake sind „wegen Corona“, wie es so unschön heißt, leider ausgefallen – darunter einige, auf die ich mich ganz besonders gefreut hatte. Stattdessen durfte ich die Heimquarantäne mit zwei Kindern wie eine böse Pointe auf meinen Roman erleben und mehr schlecht als recht dem Lagerkoller trotzen. „Aber das ist leider zugeschlossen“, so kommentierte meine jüngste Tochter zuletzt jeden Ort, den wir beiläufig erwähnten – darunter Schwimmbäder, ganze Länder, die Wohnorte der Großeltern, einmal sogar den Weltraum. Und eben: sämtliche Veranstaltungsorte.

Deshalb freue ich mich nun SEHR darüber, Ende nächster Woche gemeinsam mit Kirsten Fuchs gleich zwei Mal an einem Tag in Dresden auftreten zu dürfen: um 16 Uhr bei der Groovestation und um 20 Uhr auf der Gartenbühne des Societaetstheaters. Und wenn ich momentan so nach Berlin oder NRW schaue, hoffe ich, dass es nicht gleich wieder die letzten Lese-Gelegenheiten sein werden…

Aus Fake gelesen habe ich in den letzten Monaten übrigens trotzdem, zunächst live auf meinem Instagram-Kanal, dann als Gast beim großartigen Online-Literaturfestival VIRAL – die Lesung könnt ihr euch hier auf Facebook ansehen. Einen kurzen Clip habe ich im März auch in meinem Hotel in Leipzig aufgenommen, nachzuschauen hier auf YouTube.

War sonst noch was? Fake wurde unter anderem – wie ich finde, ziemlich treffend – bei Literaturkritik.de besprochen und in der Zeitschrift Freundin empfohlen. Außerdem hat der Autor und Journalist Björn Springorum ein schönes Porträt über mich für „Stadtkind Stuttgart“ geschrieben, in dem es heißt: „Mit Fake hat Frank Rudkoffsky den Roman der Stunde vorgelegt, wenn man mal kurz nicht über Corona nachdenken will.“ Und mal ehrlich: Wer will das schon noch? Bleibt gesund und bis bald!

Mische statt Wasserglas: Bela B. Felsenheimer in der Zugabe von lesen.hören 13

Bildschirmfoto 2019-04-29 um 23.05.12Eigentlich ging die 13. Ausgabe des Mannheimer Literaturfestivals lesen.hören bereits im März zu Ende, im April öffnete die Alte Feuerwache allerdings für eine Zugabe noch einmal ihre Pforten. Zugabe, das klingt ja vor allem nach einem Rockkonzert. Und genau danach sah die Menschenschlange rund um das Gebäude eine Stunde vor dem Auftritt von Bela B. Felsenheimer auch aus: In strömendem Regen warteten Hunderte auf Einlass, um den Ärzte-Star aus seinem Debütroman Scharnow lesen zu sehen – aufgrund des großen Andrangs ist es sogar bereits seine zweite Lesung an diesem Tag.

Dass die Deutschpunk-Ikone mit Hang zu Horrorfilmen und Trash eines Tages unter die Schriftsteller gehen würde, haben vermutlich nur die wenigsten erwartet. Eines überrascht an diesem Abend jedoch keinen: dass Felsenheimer viel zu sehr Rampensau ist, um eine gewöhnliche Wasserglaslesung zu geben. Als er im Bademantel auf die Bühne kommt, legt er zunächst eine Videokassette in einen alten VHS-Rekorder ein, dann beginnt eine Stimme aus dem Off, aus Schnarnow zu lesen, während sich Felsenheimer in aller Ruhe auf seinem Platz einrichtet. Auch sonst verlässt er sich, obwohl er durchaus vortragen kann, bei seiner Lesung nicht einfach nur auf seine Stimme und das Buch: Es kommen auch Animationen, Illustrationen, Bilder und – sehr zur Belustigung des Publikums – immer wieder Soundeffekte zum Einsatz. 

Drei Jahre von der Idee bis zum Buch

Felsenheimer selbst ist an diesem Abend, wie er sagt, in bester Laune – und man wird den Eindruck nicht los, dass er manchmal noch selbst ins Staunen gerät, wie gut er im Literaturbetrieb angenommen wird: „Ich begann diese Lesereise als völlig unerfahrener Bestsellerautor“, stellt er ironisch fest. Aber Felsenheimer gibt trotz aller Witze unumwunden zu, dass ihn der Erfolg seines Debüts stolz macht. Scharnow mag ein aberwitzig abstruses, blutiges und in Teilen absichtlich trashiges Buch sein, die Arbeit an ihm nahm Felsenheimer – anders, als man das von so manchem Promi-Autor vermuten würde – jedoch äußerst ernst. „Ich habe vor drei Jahren beschlossen, das Buch zu schreiben, ein Jahr damit gehadert und dann zwei Jahre mit Lektoren am Manuskript gearbeitet“, so Felsenheimer. Sein Verlagslektor habe sich zum Glück einigermaßen tapfer geschlagen – einmal habe er aber auch ein großes WTF?! an den Rand geschrieben.

Der Irrsinn von Scharnow mit seinen paranormalen, fantastischen Begebenheiten und 38 Protagonisten nebst einigen Tieren hat durchaus seinen Sinn, erklärt Felsenheimer: „Mir ging es darum, im Buch zwei Welten darzustellen – die fantastische und die profane Welt. Die Leute im Buch sind aber so sehr mit ihrem Alltag beschäftigt, dass sie das Fantastische nicht wahrnehmen.“ Bei seiner Lesung beschränkt sich Felsenheimer hauptsächlich auf einen Handlungsstrang um die vier Männer vom sogenannten „Pakt der Glücklichen“, die nackt einen Supermarkt ausrauben, um sich Alkohol zu beschaffen, und dabei eine blutige Kettenreaktion auslösen. Irgendwann stellt Felsenheimer eine Flasche Korn und Fanta auf den Tisch und gießt sechs Gläser „Mische“ zusammen, die er anschließend durchs Publikum reichen lässt. So viel zum Thema Wasserglaslesung.

Aber auch ohne Mische ist die Stimmung sowohl beim Publikum als auch beim Autor glänzend, es wird viel gelacht und geklatscht, immer mal wieder auch dazwischen gerufen. Felsenheimer selbst, der mehrfach abschweift und ins Reden kommt, hat sichtlich Spaß an seiner neuen Rolle. Die muss er an diesem Abend auch noch weit über die Lesung hinaus ausfüllen: Die anschließende Signierschlange erstreckt sich im großen Saal der Alten Feuerwache einmal ganz im Kreis. Und zwar mit Büchern in der Hand, nicht mit Ärzte-Alben.

Eine musikalische Erinnerung an Roger Willemsen bei lesen.hören 13

IMG_5185Am Ende herrscht Stille im Saal der Alten Feuerwache. Sie bildet die Klammer des Abends über Roger Willemsens Liebe zur Musik. Musik werde aus der Stille geboren, aus der Ruhe der Betrachtung, hieß es im ersten vorgetragenen Text aus seinem Nachlass. Was die Stille mit der Musik verbinde, glaubte er, sei das Gefühl, ganz bei sich zu sein. Dies trifft auf viele Gäste und besonders die Veranstalter an diesem Abend aber nur bedingt zu: Sie sind mit ihren Gedanken am Ende nämlich ganz beim 2016 verstorbenen Roger Willemsen. Auch wenn es niemand so bezeichnet, ist die lange Stille eine Schweigeminute für den Mann, der für immer untrennbar mit lesen.hören verbunden sein wird. Willemsen war ab der ersten Ausgabe 2007 bis 2015 Schirmherr und Moderator, ab 2013 auch Programmleiter des Literaturfestivals – und egal, mit wem man vor Ort spricht: Er fehlt schmerzlich. Trotzdem ist Musik höre ich wehrlos keine Trauerveranstaltung, im Gegenteil. Stattdessen wollen alle Beteiligten, darunter auch ehemalige Wegbegleiter Willemsens, auf der Bühne seine große Leidenschaft für Musik feiern.

„Mit Roger gemeinsam Musik zu hören, war immer etwas Besonderes“, sagt Insa Wilke, die nach seinem Tod nicht nur die Programmleitung von Willemsen übernahm, sondern auch zu seiner Nachlassverwalterin wurde. „Er hat stets auch die Geschichten und Gefühle hinter den Liedern gehört.“ Obwohl er gerne und oft über Musik sprach, hat er zeitlebens leider kein Buch über sie geschrieben. Dafür aber etliche Texte, die er für Auftritte, Kolumnen, Booklets verfasst hatte. Wilke stellte hundert von ihnen für die 2018 erschienene Sammlung Musik! Über ein Lebensgefühl zusammen und ist davon überzeugt, dass Willemsen mit dieser Veröffentlichung einverstanden gewesen wäre.

Ehrfurcht und Verachtung

Das gilt ganz sicher auch für die Gestaltung des Abends. Die Texte werden grandios von den Schauspielern Markus John und Marion Mainka vorgetragen, mit letzterer hatte sich Willemsen oft die Bühne geteilt. Auch mit dem Pianisten Frank Chastenier vom gleichnamigen Jazz-Trio verband den Intellektuellen eine lange gemeinsame Geschichte. Die Band gibt an diesem Abend musikalische Antworten auf die gelesenen Texte. Anstatt die Songs, über die Willemsen schrieb, bloß nachzuspielen, spürt sie den Empfindungen nach, die er in ihnen erkannte: Lebendigkeit. Liebe. Schmerz. Nicht nur für Jazz-Enthusiasten eine beeindruckende Performance, immer wieder brandet noch während der Stücke Applaus auf.

Architektur und Musik seien die einzigen Künste, die Räume erschaffen könnten, so Willemsen. Und tatsächlich: Während man seinen Essays über Kindheitserinnerungen an Spielmannszüge und Kirmesmusik oder die Biografien genialer Jazz-Musiker lauscht, wähnt man sich beinahe in seinem Wohnzimmer beim gemeinsamen Hören. Über Musik schrieb Willemsen fachkundig, ohne fachzusimpeln – immer spielte auch das ehrliche Interesse an dem Menschen hinter ihr eine Rolle, die Ehrfurcht vor der Magie, die Musik gleichermaßen aus dem Nichts wie aus dem Innersten heraus entstehen lässt. Umso offenkundiger war deshalb auch seine Verachtung gegenüber jener Musik, die sich lediglich als Ware begreift. Willemsens beißend ironischer Text über Modern Talking und Helene Fischer („das größte gemeinsame Einfache“) brachte das Publikum in der Alten Feuerwache immer wieder zum Lachen und sorgte damit für die richtige Dosis Auflockerung in einem ansonsten angemessen feierlichen Programm.

Musik, fand Willemsen, sei wie eine Landschaft. Wer unterwegs sein wolle, müsse sich verlieren können und Dinge hinter sich lassen. Eines an diesem Abend wird jedoch klar: Nur weil wir Roger Willemsen verloren haben, müssen wir ihn noch lange nicht hinter uns lassen. Dafür hat er uns in den Texten, die er hinterließ, noch viel zu viel zu sagen.


Roger Willemsen: Musik! Über ein Lebensgefühl. Herausgegeben von Insa Wilke, erschienen 2018 bei S.Fischer, 512 Seiten. Hier entlang zu meiner Besprechung von Roger Willemsens Wer wir waren.

Auftakt von lesen.hören 13 mit Joachim Meyerhoff

IMG_5068Ich gebe es unumwunden zu: Ich bin neidisch. Auch in Stuttgart gibt es schöne Veranstaltungsorte, selbst wenn die meisten im Vergleich zum imposanten Saal der Alten Feuerwache vermutlich den Kürzeren ziehen würden. Auch in Stuttgart gibt es interessante Lesungen oder tolle Literaturveranstaltungen wie etwa den Sommermarkt der unabhängigen Verlage. Aber ein 17-tägiges Literaturfest, das programmatisch so ziemlich alles richtig macht, was man richtig machen kann – und das ganz ohne Zugeständnisse an den Massengeschmack trotzdem für ausverkaufte Lesungen sorgt? Das hat nur Mannheim. Ein bisschen ist es wie mit dem Neckar. Der fließt genauso durch Stuttgart wie durch Mannheim, nur gibt es in der Landeshauptstadt anders als hier keinen einzigen schönen Fleck zum Verweilen am Ufer. Es kommt eben drauf an, was man aus seinen Möglichkeiten macht. Und darauf, was man will. Ein anspruchsvolles und zeitgemäßes Kulturprogramm anzubieten ist eine bewusste Entscheidung – und die braucht Leidenschaft und Engagement.

Beides spürt man bei allen, die lesen.hören 13 organisieren, mehr als deutlich. Entsprechend groß ist dann auch die Freude, wenn es nach Monaten der Planung und vielen Überstunden endlich losgeht und ein voller Saal die Mühen belohnt: Der Auftakt des dreizehnten Literarurfests ist restlos ausverkauft, und das gilt, wie der Geschäftsführer der Alten Feuerwache Sören Gerhold bei seiner Eröffnungsrede betont, für fast alle Veranstaltungen in den nächsten 17 Tagen – einschließlich des ebenso umfangreichen Kinder- und Jugendprogramms. Das ist alles andere als selbstverständlich, denkt man an sinkende Leserzahlen und die Dauerkrise der Buchbranche, die durch die KNV-Insolvenz gerade erst aufs Neue virulent geworden ist. Für die Strategie vieler Publikumsverlage, deshalb nur noch auf die angeblichen Lesebedürfnisse der Masse zu schielen, zeigt Insa Wilke, die Programmleiterin von lesen.hören 13, in ihrer Eröffnungsrede nur wenig Verständnis: „Bücher müssen aus Überzeugung gemacht werden. Dass wir uns beim Lesen bloß wohlfühlen wollen, ist ein Gerücht.“ Bücher sollten die simple wie entsetzliche Tatsache, dass wir alle sterben werden, nicht ausblenden – ganz im Gegenteil. „Wir suchen in Büchern das Leben, suchen Antworten auf die Fragen, die uns unser eigenes Leben stellt. Das ist die Funktion von Literatur.“

Joachim Meyerhoff war bereits seit Jahren Wunschkandidat

Allerdings schlössen Schmerz und Lachen einander nicht aus, findet Wilke – und leitet damit passend über zum ersten Gast des Literaturfests: Genau dieser Gegensatz zwischen Humor und Trauer macht schließlich den Kern von Joachim Meyerhoffs Romanen aus. Meyerhoff ist ein komischer Autor, die Bücher seines autobiografischen Romanzyklus Alle Toten fliegen hoch sprudeln über vor Sprachwitz, Pointen und skurrilen Anekdoten – und doch ist da immer auch Schmerz, Leid und Trauer. Etwa über den Verlust seines Bruders, seine lange Erfolglosigkeit als Schauspieler, seine Selbstzweifel. Oder aber über die Liebe: Die steht nämlich im Fokus des vierten Bandes Die Zweisamkeit der Einzelgänger, aus dem Meyerhoff an diesem Abend liest. Schon seit Jahren versuchte das lesen.hören-Team, den Schauspieler und Autor nach Mannheim zu locken, nie hat es geklappt. Darum war es nach seiner Zusage für 2019 nur logisch, den ewigen Wunschkandidaten dann auch das Festival eröffnen zu lassen.

Von seinem Vortragskönnen haben sie sich nicht zu viel versprochen: Der Bühnenschauspieler Meyerhoff liest mit seiner sonoren Stimme so lebhaft, dass es beinahe an eine Performance grenzt, und hat das amüsierte Publikum von Anfang an im Griff. Bei vielen kann eine anderthalbstündige Wasserglaslesung schnell mal zur Geduldsprobe werden, Meyerhoff hingegen vermag die Zuhörer bis zur letzten Minute zu fesseln. Das liegt auch an seiner Textauswahl: Meyerhoff beschränkt sich auf die launigeren Passagen im Buch und will sein Publikum vor allem zum Lachen bringen: ein Familienurlaub auf Elba, in der er sich als Junge mit beschlagener Taucherbrille an den FKK-Strand wagt und vor allen seine erste Erektion bekommt. Ein nächtlicher Spaziergang mit seiner Freundin Hannah, der zu einem Einbruch und Sex in einem Schuhgeschäft führt. Eine Kunstperformance, die Meyerhoff ausgerechnet beim Vortrag von Paul Celans Gedicht Die Todesfuge mit einem Lachkrampf ruiniert. In je einem Text stellt Meyerhoff Hannah, Franka und Ilse vor – die drei Frauen, die er alle zur selben Zeit liebte. „Ich würde jetzt gerne betroffen gucken, aber: Ich fand das toll, es war eine aufregende Zeit – auch wenn sie natürlich in einer Katastrophe endete“, erklärt Meyerhoff amüsiert. „Davon handelt das Buch: Dass man sich nach Dingen sehnt, die schön sind, aber trotzdem nicht gehen.“

Das Publikum hätte sich auch nach anderthalb Stunden noch nach mehr gesehnt und bedankte sich bei Meyerhoff mit anhaltendem Applaus und einer langen Schlange vor dem Signierstand. Und ich? Hätte gerne etwas mehr von dem Schmerz erfahren, der Joachim Meyerhoffs Bücher eben genauso ausmacht wie ihr Humor. Dass sich Zuhörer bei Lesungen immer wohlfühlen wollen – auch das ist nämlich ein Gerücht. Ein Wermutstropfen, wenn auch nur ein kleiner: Bestens unterhalten habe ich mich trotzdem gefühlt. Umso größer ist nun meine Vorfreude auf die nächsten Veranstaltungen an diesem Wochenende.

 

Lesungen im Frühjahr

fullsizerenderEs ist ein bisschen her, seit ich zuletzt aus Dezemberfieber gelesen habe – umso größer ist die Vorfreude auf das kommende Wochenende. Am Samstag stelle ich in der Alten Büdnerei Kühlungsborn meinen Debütroman vor und freue mich auf ein durch und durch literarisches Wochenende, an dem ich schreiben, lesen und endlich auch wieder vorlesen darf. Ein schöneres Rahmenprogramm für eine Lesung kann man sich nicht wünschen: ein ganzes Wochenende am Meer mit ein wenig Zeit für Einkehr, den neuen Auster und 200 zu überarbeitende Manuskriptseiten. Vielen Dank für die Einladung!

Und wem die Anreise zur Ostsee zu weit ist: Auch bei Leipzig liest gibt es zwei Gelegenheiten, mir zuzuhören. Am Donnerstag, dem 23.3. lese ich gemeinsam mit 11 Autor*innen aus den Verlagen duotincta und homunculus im Beyerhaus. Ein Termin, den sich besonders Blogger notieren sollten: Im Rahmen der Veranstaltung findet auch die Buchpremiere zu Warum ich lese statt – mit den Texten von 40 deutschsprachigen Buchbloggern, die dem Aufruf von Sandro Abbate folgten und darin ihren Weg zur Literatur schildern. Auf der Messe selbst lese ich am Freitag um 12:30 am Stand von duotincta (Halle 5, Stand G203) – und werde mit kratziger Stimme vermutlich ein mahnendes Beispiel für zu lange Buchmessennächte sein… Ich freue mich auf alle drei Termine und viele interessierte Zuhörer!

„He is full of despair.“ Über Benjamin von Stuckrad-Barres „Panikherz“

stuckiDamals in den Neunzigern war Benjamin von Stuckrad-Barre meine erste Lesung – und hat mich für alle darauffolgenden ein bisschen versaut: was für eine Show! Sein Debüt Soloalbum fand ich zwar amüsant, aber zu stark an die Bücher von Nick Hornby & Co angelehnt – stereotypische Popliteratur ohne großen Mehrwert. Auf der Bühne riss Stuckrad-Barre dagegen ein Feuerwerk ab: eine absolute Rampensau, schnell wie Schmidt und unberechenbar wie Kaufman. Das war keine Lesung, sondern Rock’n Roll! Trotzdem wusste ich nicht, was mich erwarten würde, als ich ihn im April 2016 im Theaterhaus Stuttgart zum zweiten Mal sah. Zwischen beiden Lesungen lagen fast zwanzig Jahre und soviel Rock’n Roll, dass es an ein Wunder grenzt, diesen Mann wieder live auf der Bühne zu sehen. Nach der Lektüre von Panikherz sah ich ihn plötzlich mit anderen Augen: Mit derselben gnadenlosen Scharfsicht, mit der er andere in seinen Texten seziert, schreibt Stuckrad-Barre in seiner Autobiografie über seinen Absturz in Kokainsucht und Bulimie. Verstörend offen, aber nicht ohne Humor erzählt Panikherz vom Wahnsinn seiner verlorenen Jahre und der späten Rettung in den zweiten Akt seines Lebens – die er zum Teil ausgerechnet seinem Kindheitsidol Udo Lindenberg zu verdanken hat.

Wie lässt sich ein so erschütterndes, manchmal gar demütiges Buch mit der öffentlichen Person, der Rampensau Stuckrad-Barre, vereinbaren? Die Antwort ließ auf der Lesung nicht lange auf sich warten: gar nicht. „Stuckiman“ bot im Theaterhaus genau das, was man von ihm auf der Bühne erwartet – ein Comedyprogramm für Menschen, die Comedyprogramme hassen, irgendwo zwischen Latenight und Personality Show. Aus Panikherz las er vornehmlich die lustigen Passagen, in Erinnerung blieben aber vor allem Showeinlagen wie der T-Shirttausch mit einem RTL-Redakteur und sein Crowdsurfing über die Ränge. Benjamin von Stuckrad-Barre hat das Publikum, mich eingerechnet, an diesem Abend bestens unterhalten – seinem Buch wurde er dabei allerdings nicht gerecht.

Keine Frage: Oft liest sich „Panikherz“ wie ein typischer Stuckrad-Barre und ist dank gewohnt präziser Beobachtungen so selbstgerecht wie witzig. Wie er sich nach der behüteten Kindheit in einer Pastorenfamilie und seiner Schulzeit als Loser fintenreich und hakenschlagend zum Shooting Star der Popliteratur mausert, ist klassischer Coming of Age-Stoff und durchaus unterhaltsam; in seinen stärksten Momenten ist Panikherz aber ein düsteres und hartes Buch. Wenn Stuckrad-Barre über seine körperliche, auch geistige Verwahrlosung durch Bulimie und Kokainsucht schreibt, über seine Entzüge und Abstürze, sein Leben in vermüllten Wohnungen und Hotelzimmern, ist seine Autobiografie so schonungslos ehrlich, dass es weh tut. (mehr …)

Notizen 6/16

Dezemberfieber-CoverLeider habe ich noch immer keine Zeit und Muße für eine neue Rezension gefunden – andere bloggen zum Glück deutlich regelmäßiger als ich. So zum Beispiel Constanze Matthes auf Zeichen und Zeiten, der ich eine wunderbare neue Rezension zu Dezemberfieber verdanke: Ein Erstling, der es vermag, den Leser sowohl eng an die Handlung und den Helden zu binden, den man manchmal ob seines abgedrehten Verhaltens einfach mal durchschütteln möchte. Eindrucksvoll gelingt es Frank O. Rudkoffsky zudem, sowohl die Gegensätze, die Stimmung und Reize des asiatischen Landes zu beschreiben, als auch detail- und bilderreich Szenen auszugestalten. Großer Verdienst des Buches ist es allerdings auch, die Aufmerksamkeit auf die Krankheit Depression zu richten. Ein Thema, das in der Öffentlichkeit noch längst nicht angekommen ist und noch immer nicht offen debattiert werden kann. (Hier entlang zu weiteren Stimmen zum Roman.)

Dem Thema Depressionen hat sich unlängst auch Karla Paul auf Buchkolumne gewidmet. In ihrer Literaturliste durch die Dunkelheit, in der sie Romane und Sachbücher über die Krankheit zusammengestellt hat, fand dankenswerterweise auch Dezemberfieber Platz. Eine wichtige und gute Liste, die in Zukunft noch erweitert werden soll. Einen der dort genannten Romane – Olivier Adams An den Rändern der Welt – werde ich in Kürze auch auf meinem Blog vorstellen. Auf das Buch gestoßen bin ich übrigens dank einer sehr schönen Rezension bei Kaffeehaussitzer! Auch in der Liste: Der Planet Trillaphon in seinem Verhältnis zur üblen Sache von David Foster Wallace, das ich im vergangenen Frühjahr besprochen habe.

trashpool7Neues gibt es auch zu ]trash[pool: Auf Logbuch Suhrkamp, dem Blog des Suhrkamp Verlags, werden seit kurzem regelmäßig Literaturzeitschriften vorgestellt – da durften wir natürlich nicht fehlen! In unserem Porträt erzählen wir ein bisschen aus dem Nähkästchen und umreißen nicht nur unser Profil, sondern schildern auch, wie unsere Textauswahl zustande kommt. Vielen Dank an die Redaktion, dass wir uns im Rahmen dieser schönen Reihe vorstellen durften!

Zu guter Letzt noch ein Veranstaltungshinweis: Am Donnerstag, dem 23. Juni, lese ich gemeinsam mit den Autoren Daniel Breuer (duotincta) und Matthias Hirth (Voland & Quist) in Berlin. Mehr Infos zur Lesung im Klub der Republik findet Ihr hier – über ein ein paar bekannte Gesichter im Publikum würde ich mich sehr freuen!

duotincta bei „Leipzig liest“

duotincta-lesenachtDie Einschläge in Sachen Leipziger Buchmesse werden immer dichter, besonders heute: Mittags hatte ich meine Akkreditierung als Blogger im Briefkasten, abends die Ankündigung zur duotincta-Lesenacht im Mailfach: Am 17.3. lese ich im Rahmen von Leipzig liest gemeinsam mit allen Autoren und Autorinnen des Verlags im Beyerhaus! Ab 19:00 stellen Dominik Forster, Stefanie Schleemilch, Birgit Rabisch, Daniel Breuer, Wolfgang Eicher und ich unsere aktuellen Romane vor; durch den Abend führt Elia van Scirouvsky (Moderator der Lesereihe Der durstige Pegasus). Kommt zahlreich und bleibt: Anschließend wird im Gewölbekeller gefeiert!

PS: Egal, wie lang die Nacht wird: Ich freue mich schon sehr auf das inoffizielle Bloggertreffen von Papiergeflüster am nächsten Tag (auf dem ich notfalls als mahnendes Beispiel für ungesunden Lebenswandel aufkreuze) – hoffentlich mit vielen bekannten Gesichtern!

Dezemberfieber: Leserunde bei LovelyBooks

Bildschirmfoto 2015-10-05 um 21.14.22Ehe hier auf meinem Blog bald wieder ein bisschen Normalität einkehrt und ich endlich Zeit finde, mal wieder einen Roman zu besprechen (Pippa Goldschmidts „Weiter als der Himmel“ übrigens), reicht es heute leider bloß zu einem Hinweis in eigener Sache: Bis einschließlich Mittwoch Abend könnt ihr euch für meine Leserunde zu „Dezemberfieber“ bei LovelyBooks bewerben – es werden zehn Exemplare verlost!

Ich bin sehr gespannt auf die Erfahrung, mich gemeinsam mit Lesern beim social reading über meinen Roman auszutauschen und hoffe auf interessante Gespräche und Diskussionen, wenn es nach der Buchmesse in der Gruppe losgeht!

Auch zwei neue Lesungstermine darf ich inzwischen verkünden: Auf die liebe Einladung des Blogs Angelika liest lese ich am 27.10. in Angelikas Büchergarten in Ruppichteroth und freue mich darauf, Angelika dort persönlich zu ihrem wahr gemachten Lebenstraum zu gratulieren! Am Tag darauf darf ich in der so schönen wie renommierten Bernstein-Verlagsbuchhandlung in Siegburg lesen – und zwar vor so illustren Gästen wie Sven Heuchert, dessen großartigen Erzählband „Asche“ ich hier bereits vor kurzem vorgestellt habe. Alle weiteren Termine gibt es hier!