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Implosion. Über „Traumrakete“ von Ruth Cerha

Traumrakete - Ruth CerhaJede Nacht wird der depressive Musiklehrer Dave von Albträumen geplagt, auch die Tage sind kaum besser: Seine Ehe steckt in einer Krise und sein ältester Sohn droht von der Schule zu fliegen. Als Dave seinen rätselhaften Albträumen auf den Grund geht, führt ihn die Spurensuche von Wien zu seinem Geburtsort New York – und in die Vergangenheit seiner Familie.

Die Entfremdung eines Ehepaares in den mittleren Jahren, ein Generationenkonflikt und dazwischen die Kinder mit ihren Problemen, allen voran die der Jungs, die sich in virtuellen Parallelwelten verlieren – in seiner Anlage erinnert Ruth Cerhas Traumrakete zunächst ein wenig an Jonathan Safran Foers Scheidungsroman Hier bin ich. Während der Amerikaner aber gleich einen ganzen Nahostkrieg braucht, um die Krise seiner Figuren bis zum Äußersten, bis zur Explosion zu treiben, lässt Cerha das Leben ihres Protagonisten Dave dagegen vielmehr implodieren – und richtet ihren Fokus dabei ganz auf sein Innnerstes.

Oberflächlich betrachtet sind Daves Probleme eigentlich überschaubar. Seit er in Therapie ist, hat er seine Depressionen einigermaßen im Griff. Auch sonst könnten die Dinge durchaus schlechter stehen. Natürlich könnte die Ehe zu Ärztin Janet glücklicher, könnten die Kinder besser in der Schule, könnte Dave zufriedener im Beruf sein. Die gesundheitlichen Probleme seines Vaters sind zwar eine Belastung, so zerstritten, wie beide sind, aber auch nichts, was Dave um den Schlaf bringen würde. Was ihn wirklich um den Schlaf bringt, sind die ständigen Albträume. Jede Nacht plagen ihn wiederkehrende Fantasien von Flucht und Verfolgung, von Begräbnissen oder von einer rätselhaften Frau im Trenchcoat. Gemeinsam mit Morrison, seinem Therapeuten, versucht Dave, seinem Unterbewusstsein auf den Grund zu gehen, in Eigenregie übt er sich später auch in luzidem Träumen, um Kontrolle über seine Fantasien zu erlangen. Je intensiver sich Dave mit sich selbst beschäftigt, desto mehr gleiten ihm die Dinge im realen Leben jedoch aus den Händen. Seine Depressionen werden wieder stärker, auch die Probleme in der Ehe treten immer deutlicher zutage – ausgerechnet jetzt, sollte man meinen. Aber dass Dave zwar einerseits als Identifikationsfigur funktioniert, zugleich aber auch glaubwürdig von Janet infrage gestellt wird, ist eine der großen Stärken des Romans. Denn obwohl man Daves Sorgen und Ängste, seine Midlife Crisis, seine Probleme mit Janet verstehen kann – ein Opfer ist er nicht. Stattdessen kreist er so sehr um sich selbst, dass er zunehmend den Blick für die Nöte anderer, speziell die seiner Frau verliert. Daves Selbstbezogenheit ist einerseits Symptom seiner Krankheit, andererseits aber auch kein ganz unwesentlicher Grund für ihre Beziehungskrise.

Allein zu seinem jüngsten Sohn Nobbs hat Dave noch einen guten Draht, zumal sich auch Nobbs intensiv mit seinen Träumen auseinandersetzt. In ihnen will er dem Raumfahrer Ben dabei helfen, seine Rakete zu reparieren. Vergeblich allerdings: Ben hat den Kontakt zu seinem Heimatplaneten verloren und ist ganz auf sich allein gestellt, helfen kann ihm niemand außer er selbst. Als Ben aus Nobbs Träumen verschwindet, ist auch Dave am Tiefpunkt angelangt. Besessen von den unterbewussten Geheimnissen, die er in seinen Albträumen vermutet, fügt er Nacht für Nacht das Puzzle weiter zusammen und stößt dabei auf eine Spur, die ihn direkt nach New York führt – jene Stadt, in der er die ersten Jahre seines Lebens verbracht hatte, ehe seine Eltern mit ihm nach Wien auswanderten. Dave sieht keinen anderen Weg, als dorthin zu fliegen und herauszufinden, was ihn tief im Inneren so belastet. In New York stößt Dave allerdings nicht nur auf ein lange gehütetes Familiengeheimnis, sondern findet auch ein Stück weit zu sich selbst zurück – indem er sich treiben lässt und seine Wahrnehmung, die in Wien noch hauptsächlich von Introspektion geprägt war, endlich wieder nach außen richtet. Nach seiner Heimkehr muss Dave allerdings feststellen, dass er manche Zeichen womöglich zu spät erkannt hat.

Während Thema und Figurenkonstellation wie anfangs erwähnt stellenweise an Jonathan Safran Foers Hier bin ich erinnern, ist Traumrakete trotz des ähnlichen Ausgangs ein viel intimerer, auch bodenständigerer Familienroman. Besonders die Figuren sind Ruth Cerha so glaubwürdig und dreidimensional gelungen, dass man sich nicht selten an Autoren wie Jonathan Franzen erinnert fühlt. Gerade weil man sich mit den Charakteren so identifiziert und das reale Geschehen mit Spannung verfolgt, können die häufigen und langen Traumsequenzen aber auch anstrengen, mitunter sogar nerven. Für einen psychologischen Roman wirken die Versatzstücke aus Daves Unterbewusstsein oft zu konstruiert und gewollt; weniger und dafür pointiertere Traumszenen hätten sicher eine größere Wirkung entfaltet. Am meisten überzeugt der Roman deshalb dort, wo Ruth Cerha ihre Stärken ausspielt: beim präzisen Beobachten ihrer Figuren und Schauplätze – allen voran in New York, das die Österreicherin so lebendig beschreibt, dass man Dave bei seinen Wanderungen durch die Stadt nicht nur auf Schritt und Tritt, sondern gerne auch Seite für Seite folgt, ohne je müde zu werden. Darum fällt es dann auch nicht allzu sehr ins Gewicht, dass man die Traumsequenzen dagegen – wie im echten Leben auch – zumeist eher flüchtig in Erinnerung behält.


Ruth Cerha: Traumrakete. Erschienen bei der Frankfurter Verlagsanstalt, 480 S. Eine sehr gelungene Besprechung zum Roman hat Isabella Caldart auch auf ihrem Blog novellieren.com veröffentlicht.

Befangen. Über „Dunkelgrün fast schwarz“ von Mareike Fallwickl

IMG_5558Ich sag’s lieber gleich vorweg: Ich bin befangen. Nicht nur, weil ich mit meiner Bloggerfreundin Mareike regelmäßig chatte oder auf Buchmessenpartys zu schlechter Musik tanze. Auch nicht, weil sie so lieb war, mich in der Danksagung ihres Romans zu erwähnen – so leicht bin ich nun auch nicht zu bestechen. Befangen bin ich aus einem ganz anderen Grund: Ich hatte die große Ehre, die Entstehung von Dunkelgrün fast schwarz beinahe von Anfang an mitzuverfolgen. Da wir beide zeitgleich an unseren Romanen arbeiteten, tauschten wir uns regelmäßig über unsere Fortschritte, Erfolge und Niederlagen aus, gaben uns gegenseitig die neuesten Kapitel zu lesen und warteten dann bangend aufs Feedback, machten einander, wenn nötig, hin und wieder auch mal Mut. Das tat gut und machte Spaß, war als Leser aber auch eine frustrierende Erfahrung: Während ihr da draußen den Roman, wie es sich für ihn gehört, am Stück verschlingt, musste ich oft Wochen, manchmal sogar Monate warten, ehe ich weiterlesen durfte. Wer das Buch kennt, kann sich vorstellen, wie schwer mir das fiel. Denn trotz aller Befangenheit: In eine moralische Zwickmühle bringt mich die Vorstellung von Mareikes Roman nicht – dafür ist er nämlich viel zu gut. Und das war er von Anfang an.

Eine gefährliche Freundschaft

Befangen ist auch Moritz, als Raffael plötzlich vor seiner Tür steht, ganze sechzehn Jahre, nachdem er sich einfach so und scheinbar grundlos aus dem Staub machte. Eigentlich sollte er Wichtigeres im Sinn haben, als seinen alten Freund bei sich aufzunehmen, schließlich steht die Geburt seines ersten Kindes unmittelbar bevor. Aber trotz ihrer langen Trennung voneinander ist gleich alles wieder wie früher: Raffael gibt den Ton an, und Moritz tanzt nach seiner Pfeife, obwohl Raffael ganz offensichtlich etwas zu verbergen hat.

Schon als Kleindkind ist Raffael ein echter Rattenfänger. Und ein Arschloch. Mit Grauen muss Moritz‘ Mutter Marie mitansehen, welche Macht der beste Freund ihres Sohnes über ihn hat, wie er ihn manipuliert und drangsaliert, ihn abgängig von sich macht. Und doch sind Moz und Raf, wie die beiden einander als Kinder nannten, stets unzertrennlich: der eine ein rücksichtsloser Draufgänger, der andere sensibel und zaghaft. Sie brauchen einander. Raf holt Moz aus seiner Komfortzone und lässt ihn über sich hinauswachsen, Moz gibt Raf dagegen ein Gefühl der Zugehörigkeit, das ihm in seiner eigenen Familie fehlt. Eine scheinbar unzerstörbare Freundschaft, selbst, als das Waisenmädchen Jonanna zum Duo hinzustößt und mit ihr die ersten Gefühle ins Spiel kommen. Nur Marie bleibt über die Jahre weiter skeptisch: Dieser Raffael ist gefährlich – und wird Moritz eines Tages ins Unglück stürzen. Marie hat einen guten Grund, so zu denken. Sie kennt die Macht, die Raffael über ihren Sohn hat. Sein Vater ist nämlich genau wie er, ein skrupelloser Manipulator, der die Schwächen anderer genau auszunutzen weiß: zum Beispiel ihre Einsamkeit als Mutter zweier Kinder mit einem abwesenden Vater…

So komplex wie spannend

Und das sind gerade einmal die groben Züge der Handlung von Dunkelgrün fast schwarz: Geschickt spinnt Mareike Fallwickl einen Bogen zwischen den Generationen, erzählt multiperspektivisch und auf mehreren Zeitebenen die Geschichten von Marie, Moritz und Johanna und führt deren Fäden mit der Rückkehr des undurchsichtigen Raffaels am Ende schließlich zusammen. Was auf dem Papier kompliziert klingt, fügt sich so mühelos ineinander, dass Mareike mit Dunkelgrün fast schwarz ein wahrer Pageturner über Freundschaft, Abhängigkeiten und die gefährliche Macht, die Menschen übereinander haben, gelungen ist, der bei allem Anspruch in der Komposition nie zu unterhalten vergisst. Im Gegenteil: Man ist als Leser den Figuren so nahe, dass die Spannung manchmal kaum auszuhalten ist.

Liebe Mareike, es ist mir eine Ehre, in einem so gelungenen und wunderbaren Buch erwähnt zu werden – selbst, wenn du meine Hilfe nie brauchtest. Ich weiß, wie hart du an diesem Roman gearbeitet hast: Den Erfolg hast du dir mehr als verdient. Und deshalb bin ich nicht nur befangen, sondern vor allem eines: sehr, sehr stolz auf dich!


Mareike Fallwickl: Dunkelgrün fast schwarz. Erschienen bei der Frankfurter Verlagsanstalt, 480 Seiten. Trotz der Fülle an Besprechungen, die dieser Tage erscheinen, möchte ich eine ganz besonders hervorheben: Auf Buchrevier schrieb Tobias Nazemi einen sehr schönen, ebenfalls sehr persönlichen Leserbrief an Mareike.

Autopsiebericht. Über „Walter Nowak bleibt liegen“ von Julia Wolf

walter nowakEigentlich ist Walter Nowak ja fit für sein Alter, nicht nur wegen des täglichen Schwimmens. Für den Rentner ist es deshalb auch gar kein Problem, dass seine jüngere Frau für ein paar Tage zu einer Konferenz verreist ist. Und ohne den Unfall wäre er vielleicht ja auch ganz gut alleine zurechtgekommen. Vielleicht hätte er nicht das Wildschwein in der Küche zerlegt und es dann auf dem blutigen Boden vergammeln lassen. Vielleicht hätte er weniger getrunken und keine halben Tage verschlafen, wäre er nicht ohne Schuhe und mit Badekappe zum geschlossenen Freibad und dann zu seiner ehemaligen Firma gefahren. Walter Nowak macht sich wegen all dieser Dinge keine großen Gedanken. Das tun bloß die anderen: etwa seine Ex-Sekretärin, die ihn besorgt auf einen Kaffee hineinbittet und dann zusehen muss, wie er vor ihr flieht. Oder sein entfremdeter Sohn, der ihn erstmals nach Jahren besucht und ihm anfangs nicht einmal die Sache mit der Fledermaus glaubt.

Ein Roman wie ein Scherbengericht

Am Ende des Romans liegt Walter Nowak nackt auf dem Boden seines Badezimmers, beschämt und mit einer womöglich ernsten Verletzung am Kopf. Ein Spoiler ist das nicht: Ganz genauso fängt Julia Wolfs zweiter Roman auch an. Von der ersten bis zur letzten Seite bleibt Walter Nowak einfach liegen. Nur seine Gedanken stehen nicht still, ganz im Gegenteil. Da sind die verworrenen Erinnerungen an den Unfall im Schwimmbad und die merkwürdigen Tage danach. Und da ist ein ganzes Leben, das an Walter Nowak vorbeizieht, fragmentarisch wie ein Scherbengericht. Immer wieder blitzen sie auf, die Fehler seines Lebens: Momente des Scheiterns und der Scham, die sich in sein Bewusstsein schneiden und nun alles in Frage stellen. Etwas ist in Walter Nowak kaputtgegangen, seit er mit dem Kopf gegen den Beckenrand knallte. Als hätte er dabei eine Sollbruchstelle erwischt, kann er sein Selbstbild und die Illusion eines guten und erfolgreichen Lebens auf einmal nicht mehr aufrechterhalten. Überall sieht er sich plötzlich auf dem Abstellgleis: Seit er seine Firma und damit sein Lebenswerk verkauft hat, wird er dort nicht mehr gerne gesehen. Walters erste Ehe scheiterte an seinen Affären, seine zweite sieht er durch einen anderen Mann bedroht. Sein Sohn will schon lange nichts mehr von ihm wissen, und seine Mutter – der einzige Mensch, der immer für ihn da war – ist schon seit Jahren tot. Nichts, an das Walter sein Leben lang geglaubt hat, scheint noch gut genug zu sein – nicht einmal das Andenken an Elvis Presley, Walter Nowaks Ideal eines Vaters, den er nie hatte.

Operation am offenen Kopf

Durch abgehackte Sätze und jähe Gedankensprünge bleibt Julia Wolf ganz nah dran an ihrer Figur; wie in einer Operation am offenen Kopf spiegelt die Sprache Walter Nowaks Geisteszustand und sein zerbrochenes Selbstbild wider, das er mit aller Kraft zusammenzuhalten versucht. Trotz aller Tragik eines gescheiterten Lebens ist Walter Nowak eine komische, gar lächerliche Figur, der man mit Interesse, allerdings nur wenig Empathie folgt. Mit wenigen, aber präzisen Schnitten dringt Julia Wolf in Walter Nowaks Gehirn zu den entscheidenen Momenten seines Lebens vor. Als Autopsie eines gescheiterten Lebens ist Walter Nowak bleibt liegen kein einfaches Buch. Aber ein gelungenes – schade, dass es nicht für die Shortlist gereicht hat!

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Julia Wolf: Walter Nowak bleibt liegen. 200 Seiten, erschienen bei der Frankfurter Verlagsanstalt. Hier entlang zum Interview mit Julia Wolf auf novellieren.

Suspicious minds. Über „Superbuhei“ von Sven Amtsberg

IMG_6088Mit Jesse Bronske stimmt was nicht. Ständig weint er. Oder brüllt in Gesprächen, ohne es zu merken. Immer öfter lässt ihn sein Gedächtnis im Stich, spielt ihm seine Wahrnehmung einen Streich. Und dann ist da diese Angst, die ihn wieder trinken lässt. Die ihn dazu bringt, sich eine Waffe zu besorgen und niemandem mehr zu trauen, nicht einmal seiner Freundin Mona. Vielleicht stimmt es ja, was sie sagt: dass er sich verändert habe und Hilfe brauche. Genauso gut könnte Mona aber – womöglich sogar, ohne es zu wissen – mit Aaron unter einer Decke stecken. Denn das ist Jesses große Angst: dass ihn sein Zwillingsbruder nach all den Jahren ausfindig gemacht hat und nun den perfiden Plan verfolgt, ihn heimlich zu ersetzen.

Viel zu holen gibt es in Jesses Leben eigentlich nicht. Die tägliche Tristesse in seiner Supermarktkneipe Kleine Maus, die eigentlich mal Klaus Meine hieß, erträgt Jesse schon lange nicht mehr. Tagein, tagaus dieselben Alkoholiker mit denselben schalen Witzen am Tresen und denselben Scorpions-Songs im Player. Noch deprimierender ist bloß der Blick auf den Supermarktparkplatz vorm Fenster: eine permanente Erinnerung ans gescheiterte Leben der Eltern, die einst mit einem Parkplatzimbiss ihr Geld verdienten und dabei ihre Würde verloren. An die Kindheit mit einem gebrochenen Elvis-Imitator als Vater. Und an eine Mutter, die die Familie im Stich ließ, um ein neues Leben anzufangen, es aber nur bis ans andere Ende der Straße schaffte. Nach dem Tod des Vaters und dem Bruch mit Aaron gibt es nur noch wenige Konstanten in Jesses Leben. Klar, da ist Mona, die sonnenbankgebräunte Supermarktkassiererin. Allerdings machen sich in der Beziehung inzwischen erste Ermüdungserscheinungen bemerkbar – und zwar nicht nur, weil Jesse seiner Freundin Schlaftabletten ins Essen mischt, um abends alleine zu sein. Wirklich Halt geben kann Jesse nur einer, und das ist Klaus Meine. Jesse hat nicht nur seine Kneipe nach dem Scorpions-Sänger benannt, sondern fährt, wenn es ihm schlecht geht, auch gerne mal zu dessen Haus und macht Fotos von seinem Garten. Vor allem schreibt er ihm aber Briefe. Klaus Meine kann Jesse alles erzählen – sogar über Aaron, von dem nicht einmal Mona etwas weiß. Als Jesse glaubt, seinen Zwillingsbruder nachts im Maisfeld vor dem Haus zu sehen, gerät sein schon lange ins Wanken geratene Leben endgültig aus den Fugen…

Superbuhei, so heißt der Supermarkt, in dem Mona und Jesse arbeiten. Der Debütroman von Sven Amtsberg wäre in einem ebensolchen nur schwer einzusortieren: einerseits Groteske über die Hölle der Vorstadttristesse, andererseits Psychogramm eines Mannes am Rande des Nervenzusammenbruchs. Und obwohl zumeist der verschrobene Humor im Vordergrund steht, liest sich der Roman stellenweise fast wie ein Thriller. Tatsächlich ist Superbuhei trotz seiner Skurrilität überraschend melancholisch und düster: als hätte Wes Anderson einen Psychothriller über die niedersächsische Provinz gedreht. Amtsberg kann schreiben und treffsicher amüsieren, nicht immer gelingt ihm jedoch die richtige Balance zwischen Komik und Ernst. Mancher Handlungsbogen ist etwas überspannt, vor allem aber steht die permanente Überzeichnung seiner Figuren der Empathiebildung im Weg. Verglichen mit artverwandten Romanen wie Herr Lehmann von Sven Regener oder Heinz Strunks Fleisch ist mein Gemüse fehlt es Superbuhei manchmal an Erdung. Das ändert jedoch nichts daran, dass Sven Amtsberg mit seinem Debüt einen hochkomischen und tieftraurigen, vor allem aber überraschenden Roman vorgelegt hat, der neugierig auf seinen nächsten macht.


Sven Amtsberg: Superbuhei. Erschienen bei der Frankfurter Verlagsanstalt, 360 Seiten.